- Astronomie im Berchtesgadener Land - Der Venustransit vom 8. Juni 2004 - mit der "Kleinen Sonnenfinsternis" auf geschichtsträchtigen Pfaden!Der letzte Vorübergang der Venus vor der Sonnenscheibe liegt 122 Jahre zurück. Venustransite treten oft paarweise mit einem Abstand von 8 Jahren auf. So waren die letzten beiden Durchgänge in den Jahren 1874 und 1882 zu einer Zeit zu beobachten, als noch Wilhelm I als Deutscher Kaiser regierte. Viele Nationen schickten damals Expeditionen in aller Herren Länder, um dieses Schauspiel zu verfolgen. Ziel war, die bei den Venusdurchgängen der Jahre 1761 und 1769 ermittelten Werte für die Astronomische Einheit (Abstand der Erde von der Sonne) weiter zu verbessern, was jedoch nicht in gewünschtem Maße gelang. Mit Erfindung der Radartechnik können heute durch Laufzeitmessungen die Abstände im Sonnensystem mit höchster Genauigkeit bestimmt werden. Deshalb haben Venusdurchgänge heute keine große wissenschaftliche Bedeutung mehr.
Trotzdem wollten wir uns (das sind Rudi, N/N mit Johannes, Maria und Bernhard) die Gelegenheit, auf astronomie-geschichtlichen Pfaden zu wandern, nicht entgehen lassen. Der Wettergott war uns wohl gesonnen; nachdem wir wochenlang unbeständiges Wetter hatten, sorgte pünktlich zur Mini-Sonnenfinsternis das Hoch Vincent für ausgezeichnete Beobachtungsbedingungen. Ein kurzer Anruf bei unseren Freunden Lissi und Wolfi ("immerhin" ein paar Stunden vor dem geplanten "Überfall"), und schon hatten wir uns einen super Beobachtungsplatz und beste Versorgung mit Speisen und Getränken gesichert. An dieser Stelle nochmal Herzlichen Dank!
Unsere Instrumente bauten wir schon am Vorabend auf, um am nächsten Morgen rechtzeitig bereit zu sein. Außerdem konnten wir auf diese Weise unseren Gastgebern Lissi und Wolfi mit Familie ein bisschen von unserer Begeisterung für den nächtlichen Sternenhimmel vermitteln. Mit dem Riesenplaneten Jupiter begann unsere visuelle Reise durch das Universum. Als sich neben den Wolkenbändern auch noch der dunkle Schatten eines Mondes auf Jupiters Oberfläche zu erkennen gab, sprang der Funke über. Auch das Mehrfach-Sternsystem Mizar/Alkor und der doppelte Doppelstern Epsilon Lyra sorgten für Begeisterung. Zu späterer Stunde wurde es dann auch dunkel genug für sogenannte DeepSky-Objekte. Der Ringnebel in der Leier, die Kugelsternhaufen M3 und M13, sowie das wechselwirkende Galaxien-Pärchen M51/NGC5195 beeindruckten Wolfi genauso wie uns immer wieder. Trotzdem war es gegen 1 Uhr an der Zeit, für ein paar Stunden Schlaf zu sorgen, um am nächsten Morgen für das große Ereignis fit zu sein.
Wie erhofft, zeigte sich auch am Morgen ein strahlend blauer Himmel über unserem Beobachtungsplatz und so konnten wir um etwa 05:10 Uhr die majestätisch anmutend rote Sonne am nordöstlichen Horizont emporsteigen sehen. Es war an der Zeit, die letzten Vorbereitungen für die Beobachtung des Venustransits zu treffen. Um 07:20 Uhr sollte das Schauspiel beginnen. Wir setzten uns rechtzeitig vorher an die Teleskope und warteten auf den 1. Kontakt. Die Bestimmung des 1. Kontaktes war eindeutig der schwierigste Teil der ganzen Beobachtung, weil man nicht genau die Stelle kennt, wo die Venus eintreten würde (außer man würde sich die Stelle vorher mit einem Meßokular genau ausmessen). Und so kam es, dass wir erst eine halbe Minute nach dem vorausberechneten Zeitpunkt zweifelsfrei eine kleine Einbuchtung am Sonnenrand erkannten - der 1. Kontakt war damit schon Vergangenheit.
Die Anspannung war groß. Wir hielten visuell nach den 1874 und 1882 beobachteten Lichtflecken (bzw. Lichtring) Ausschau, die sich damals um den außerhalb der Sonnenscheibe befindlichen Venusabschnitt zeigten und vermutlich durch ihre Atmosphäre hervorgerufen wurden. Wir konnten mit unseren 4"- und 6"-Zoll-Refraktoren jedoch kein derartiges Phänomen feststellen. Parallel dazu machten wir Webcam-Aufnahmen und auch die Kameras mit den chemischen Filmen klickten am laufenden Band.
Innerhalb von 20 Minuten schob sich die Venus nun immer weiter in die Sonnenscheibe, bis schließlich um 07:39:40 Uhr rein rechnerisch der 2. Kontakt eintreten würde. Eine Minute vorher schien das schwarze Venusscheibchen etwas in die Länge gezogen zu sein (schwach ausgeprägte Ellipse in Richtung Sonnenrand). Hierbei kann es sich jedoch auch um eine optische Täuschung handeln. Um 07:39:35 glaubten wir, der 2. Kontakt sei eingetreten. Schon etwa 10 Sekunden später zeigte sich ein schmaler Schein zwischen Sonnenrand und Venus - das Planetenscheibchen befand sich damit schon komplett innerhalb der Sonnenscheibe.
Nach dem 2. Kontakt begann die "ruhige Phase" des Transits. Die Wanderung der Venus über die Sonnenscheibe würde mehr als 5 Stunden dauern und so begaben wir uns erst mal auf die Sonnenterasse, um das von Lissi vorbereitete hervorragende und reichhaltige Frühstück zu geniesen. Das hatten wir uns jetzt verdient.
Frisch gestärkt widmeten wir uns nach dem Frühstück wieder unseren Instrumenten. Auch unsere Gastgeber waren natürlich mit von der Partie und von dem Schauspiel genauso angetan wie wir. Vor allem die Kinder konnten ihre Blicke kaum abwenden und beobachteten abwechselnd mit SoFi-Brille, Feldstecher und Fernrohr, v.a. aber mit dem Bildschirm (Webcam). Während diesem doch längeren Abschnitt hatten wir auch Zeit für ausführliche Fachsimpeleien oder ein kleines Nickerchen. Dass es sich nur um eine "Mini"-Sonnenfinsternis handelte, wurde mir leider erst zu Hause bewußt; für meinem roten Rücken war es dann leider schon zu spät.
Kurz vor dem 3. Kontakt begann die zweite und damit letzte "heiße Phase" des Transits, der Austritt der Venus aus der Sonnenscheibe. Wir konnten das bei früheren Durchgängen geschilderte Tropfen-Phänomen zumindest in der teilweise beschriebenen starken Ausprägung nicht beobachten. Lediglich zum Sonnenrand hin schien eine geringfügige "Verlängerung" des Venusscheibchens zu einer kleinen schwach ausgeprägten Ellipse möglich zu sein - vielleicht aber auch, wie vorher schon gesagt, eine optische Täuschung. Wir versuchten wieder, die Kontaktzeit zu ermitteln und kamen unabhängig voneinander in etwa auf den Zeitpunkt 13:03:45 Uhr; das war 10 Sekunden früher als berechnet.
Man merkte deutlich, dass die Anspannung nun schon geringer war, als beim Eintritt der Venus - war das schon ein Anzeichen von Routine? Immerhin absolvierten wir fast das gleiche Programm wie fünfeinhalb Stunden zuvor. Auch die Zeit des 4. Kontaktes versuchten wir, so gut es uns möglich war, zu ermitteln. Mit 13:23:10 Uhr waren wir uns auch dieses letzte Mal wieder recht einig; und überraschenderweise sind wir mit diesem Wert, wie beim 3. Kontakt, genauso um 10 Sekunden früher dran als berechnet.
Mit diesem 4. Kontakt war ein Ereignis zu Ende gegangen, in das wir schon im Vorfeld erheblich Zeit und Mühe investiert hatten. Wir sind deshalb sehr froh, dass es der Wettergott gut mit uns meinte und nach den zahlreichen Wochen relativ unbeständigen Wetters seine gesamte "Schönwetter-Energie" in diese eine Woche investiert hat. Immerhin wurde uns dadurch ein Erlebnis zuteil, das den meisten Menschen während ihres Lebens nicht vergönnt sein wird. Zusammenfassung:1) Kontaktzeiten aus visuellen Beobachtungen:
Dass die Zeitdifferenz beim 1. Kontakt recht hoch ist, kann mit der Suche der beginnenden "Venus-Einbuchtung" über einen grösseren Bereich des Sonnenrandes gut erklärt werden. Die von uns beobachtete 1. Kontaktzeit musste gegenüber der Rechnung zwangsläufig zu spät sein; die Frage war nur, um wieviel. Dass die beobachteten Zeiten der anderen drei Kontakte so nahe an den berechneten Werten liegen, überraschte uns aber doch. Ist das Zufall oder war das in der Literatur beschriebene Tropfen-Phänomen bei früheren Durchgängen stärker ausgeprägt? Wir haben ab etwa 1...2 Minuten vor der berechneten Kontaktzeit nicht mehr auf die Uhr gesehen, um von ihr nicht beeinflusst zu werden. Die Kontaktzeiten aller drei Beobachter deckten sich innerhalb eines Bereiches von +/-5 Sekunden (geschätzt). 2) Kontaktzeiten abgeleitet aus Webcam-Aufnahmen mit ToUCam und Teleobjektiv:Der gesamte Venustransit wurde mit einer Webcam an einem Teleobjektiv mit 200mm Brennweite bei Blende 8 aufgenommen. Die effektive Objektivöffnung beträgt dabei lediglich 25mm. Die Sonne füllt das Bildfeld mit etwa 320 Pixel Durchmesser relativ gut aus, für das Venusscheibchen bleiben jedoch lediglich 10 Pixel Durchmesser. Es wurde im Abstand von 10 Sekunden jeweils eine Aufnahme gemacht. Anhand dieser Aufnahmen konnten nun nachträglich nochmal die Kontaktzeiten ermittelt werden. Die Aufnahmen wurden nun einer kleinen Gruppe von 10 Personen (nur zum Teil Hobbyastronomen) vorgelegt und jeder sollte dasjenige Bild aussuchen, das seiner Meinung nach dem Kontaktzeitpunkt am nächsten liegt. Dabei haben sich natürlich Diskussionen ergeben, weil die Unterschiede zum Teil nur marginal sind und auch jeder die Bilder etwas anders interpretiert; aber genau dies war ja das Interessante dabei.Hier nochmal zusammengefasst die Aufnahmedaten:
Und hier das Ergebnis:Der erste Kontakt war aus den Bildern nur schwer zu ermitteln. Der Grund war einfach, daß sich die Bilder um den 1. Kontakt herum nicht erkennbar voneinander unterschieden. Dies liegt sicher hauptsächlich an der kurzen Aufnahmebrennweite und der dadurch bedingten geringen Auflösung. Im Mittel wurde der Kontakt erst 4,3 Bilder (d.h. 43 Sekunden) später erkannt. Dieser Wert ist aber trotzdem nicht schlecht, v.a. wenn man ihn mit Zeiten vergleicht, die auf direktem Wege durch die längerbrennweitigen Refraktoren ermittelt wurden (siehe oben).Der zweite Kontakt konnte noch deutlich besser definiert werden. Der Kontaktzeitpunkt wurde wieder (von jedem "Beobachter") zu spät eingeschätzt, jedoch ergab sich hier im Mittel lediglich eine Abweichung von nur 2,2 Bilder (d.h. 22 Sekunden). Wenn man dann noch die geringe Auflösung berücksichtigt, so ist dieses Ergebnis erstaunlich. Die Testpersonen waren in der Lage, den Kontaktzeitpunkt im Mittel auf 1/4 Pixel genau festzulegen.
Fazit:Mit dem angegebenen für diesen Zweck eigentlich nicht optimalen Instrumentarium konnten die Kontaktzeitpunkte von den Testpersonen überraschend genau ermittelt werden. Die Astronomen im 18. und 19. Jahrhundert hatten meines Wissens zum Teil größere Schwierigkeiten (und damit Abweichungen) bei der Festlegung der Kontaktzeitpunkte. Jedoch muß dabei auch betont werden, daß laut den Beobachtungsberichten der Tropfeneffekt damals stärker ausgeprägt war. Unser Vorteil bei diesem Webcam-Verfahren ist, daß wir die Bilder zum Vergleich nebeneinander legen konnten und nicht "online" durch die Optik ermitteln mußten. Mit einer längerbrennweitigen Optik könnte dieses Verfahren wahrscheinlich weiter verbessert werden. Aber das ist dann eine Aufgabe für den nächsten Venustransit in 8 Jahren.Bernhard Kindermann
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