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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Ergänzende Informationen und Korrekturen zum Interstellarum-Artikel »Exakte Polachsenjustierung«

von Bernhard Kindermann

In Heft 41 der Zeitschrift Interstellarum (Juni/Juli 2005) erschien ein Beitrag, in dem ich ein »Alternatives Verfahren« zum Justieren der Polhöhe von Fernrohrmontierungen beschreibe. An dieser Stelle sollen einige ergänzende Informationen und Korrekturen zum Interstellarum-Beitrag gegeben werden.

Inhalt:

1. Die Vorgeschichte: Probleme beim "Einscheinern"

2. Ursachenforschung

2.1 Strichspuren trotz Einscheinern - Warum?

2.2 Quantifizierung der "Störgröße" Refraktion

2.3 Diskussion der Messungen

3. Welche Verbesserungsmöglichkeiten oder Alternativen gibt es?

3.1 Eliminierung der Refraktion durch "Referenzkurven"

3.2 Verwendung eines Sterns höherer Deklination

3.3 »Alternatives Verfahren«

4. Tipps und Tricks zum Einnorden der Montierung

4.1 Montierungsflansch waagerecht ausrichten

4.2 Welche Deklination sollte der Stern für die Azimutkorrektur haben?

4.3 Messzeit symmetrisch zum Südmeridian wählen (für Azimut)

4.4 Messzeit symmetrisch zum Südmeridian wählen (für Polhöhe)

4.5 Lässt sich das »Alternative Verfahren« auch auf den Azimutwinkel anwenden?

4.6 Zum "krönenden" Schluss

Anhang:

A1. Abhängigkeiten zwischen fehlerhafter Einnordung und Bildfelddrehung

A2. Anleitung zum Einnorden einer äquatorialen Fernrohrmontierung

A3. Kurzanleitung zum Einnorden


1. Die Vorgeschichte: Probleme beim "Einscheinern"

Als ich im Jahre 1999, gerade noch rechtzeitig zur totalen Sonnenfinsternis, mein neues Teleskop in Betrieb nehmen konnte, wusste ich zwar um den zeitlichen Aufwand, den eine genaue Justierung der Stundenachse erfordert, jedoch noch nicht um die zusätzlichen Probleme, die dabei auftreten können. Für die Sonnenfinsternis war alles noch recht einfach. Hier reichte im Prinzip, wenn man die Montierung "hinstellt" und grob nach Norden ausrichtet. Gelegentliche Korrekturen in Rektaszension und Deklination stellten weder einen Aufwand noch ein Problem dar. Für meine Steckenpferd, die Astrofotografie, war es mit dieser Genauigkeit - oder besser gesagt: Ungenauigkeit - natürlich nicht getan. Für diese Anwendung musste die Stundenachse der Fernrohrmontierung möglichst genau auf den Himmelspol ausgerichtet werden. Hierzu verwendete ich eine in Amateurkreisen etablierte Methode, die umgangssprachlich v.a. unter dem Begriff »Einscheinern« bekannt ist.

Es gibt verschiedene Varianten, die alle mit dem Begriff »Einscheinern« in Verbindung gebracht werden. Sie können sich massiv im Justierergebnis unterscheiden. Um Missverständnissen vorzubeugen, wird zuerst eine kurze Begriffsdefinition vorgenommen. Unter »klassischem Einscheinern« soll das ursprüngliche, von J. Scheiner im Jahre 1889 veröffentlichte Verfahren verstanden werden. Wesentliches Kennzeichen ist die Unempfindlichkeit gegenüber der Refraktion durch geschickte Auswahl der Justiersterne. Als »horizontnahes Einscheinern« soll die Variante bezeichnet werden, bei der für die Justierung der Polhöhe ein horizontnaher Stern im Osten oder Westen verwendet wird. Diese Methode wird häufig in der aktuellen Amateurliteratur angegeben.

Zum Einnorden meiner Montierung hielt ich mich an die »horizontnahe« Methode, da ich von der »klassischen« noch nichts wusste: Zuerst Justierung des Azimutwinkels mittels Stern bei Deklination ca. 0° in der Nähe des Südmeridians und anschließend Justierung der Polhöhe mittels horizontnahem Stern in Ost- oder Westrichtung, ebenfalls bei niedriger Deklination. Die ersten Testaufnahmen in Richtung Süden bei mittlerer Höhe waren vielversprechend; es zeigten sich feine Sternpünktchen, wie ich sie mir vorstellte - damit war es also geschafft, war doch gar nicht so schwierig. Meine ersten langbelichteten Polaufnahmen belehrten mich jedoch eines Besseren. Plötzlich waren die Sterne zu kurzen Strichen verschmiert. Das Ganze schien auch unabhängig von der Aufnahme-Brennweite zu sein, wie die beiden nachfolgenden Aufnahmen bei f = 50mm und f = 180mm belegen. Sie wurden mit zwei Kameras/Objektiven exakt zum gleichen Zeitpunkt aufgenommen, die Stellung der Stundenachse und die Nachführung ist also bei beiden Aufnahmen absolut identisch.

Polhoehe_Abb1_320x240.jpg Polhoehe_Abb2_320x240.jpg
Abb. 1: Aufnahme der Umgebung des Himmelspols. Der Pol ist mit einem Kreuz markiert, die Position des Kleinen Wagens ist hervorgehoben. Nachgeführt wurde auf den mit Pfeil gekennzeichneten Stern SAO 2460. Der 5-fach vergrößerte Ausschnitt zeigt deutliche Strichspuren. Daten: Film Fuji Provia 400F, f=50mm, Belichtungszeit 80min Abb. 2: Abgesehen von der größeren Aufnahmebrennweite waren die Bedingungen identisch zu Abb. 1. Das hier abgebildete Feld ist in Abb. 1 rot markiert. Man sieht, die Länge der Strichspuren beider Aufnahmen ist nahezu identisch, also unabhängig von der Brennweite. Daten: Film Fuji Provia 400F, f=180mm, Belichtungszeit 80min
[Zum Vergrößern bitte das jeweilige Bild anklicken.]

Eine genauere Betrachtung der Bilder zeigt, dass der Nachführstern (mit Pfeil markiert) punktförmig ist; die Nachführung wurde also mit ausreichender Genauigkeit durchgeführt. Je weiter ein Stern vom Nachführstern entfernt ist, desto länger ist seine Strichspur. Der Winkel eines gedachten von Strichspur und Nachführstern aufgespannten Dreiecks/Kreisausschnitts scheint innerhalb einer Aufnahme konstant zu sein, was damit natürlich auch die beobachtete Unabhängigkeit des Effekts von der Objektivbrennweite erklärt.


2. Ursachenforschung

2.1 Strichspuren trotz Einscheinern - Warum?

Sie wissen es natürlich schon: Ich hatte es mit einem klassischen Fall von Bildfelddrehung zu tun. Ursache der Bildfelddrehung ist eine ungenaue Ausrichtung der Stundenachse; also musste diese nochmals überprüft werden. Ich machte mich erneut ans Einscheinern, konnte jedoch nur marginale Abweichungen von der vermeintlichen Sollposition feststellen.

Mir wurde dabei jedoch klar, dass dem horizontnahen Scheiner-Verfahren eine prinzipielle systembedingte Schwäche innewohnt. Im Azimut kann die Montierung sehr genau ausgerichtet werden, wenn man sich an die Vorgabe "Stern in Nähe Südmeridian" hält. Bei der Polhöhe ergeben sich jedoch systematische Fehler, da zur Ermittlung der Fehlstellung ein horizontnaher Stern im Osten oder Westen verwendet wird und dieser damit besonders stark der atmosphärischen Refraktion unterworfen ist. Die Refraktion bricht das Licht jedes Objektes, so dass es uns mit größerem Horizontabstand erscheint, als ohne Atmosphäre. Sie ist im Zenit Null und wird am Horizont maximal.

Die Position eines über das Firmament wandernden Gestirns ist einem wechselnden Einfluss der Refraktion unterworfen, sowohl im Betrag als auch in der Richtung. Infolgedessen verändern sich die "scheinbare" Rektaszension und Deklination des Gestirns. Die Veränderung (= Drift) in Deklination ist jedoch genau die Größe, die beim Einscheinern gemessen und aus der die Korrektur für die Polhöhe abgeleitet wird. In unserer Driftmessung ist also die Refraktion des Sternlichts als "Störgröße" mit enthalten, und diese ist wegen der Verwendung eines horizontnahen Sterns unglücklicherweise auch noch besonders groß. Sie führt zu einer systematischen Fehleinstellung der Polhöhe und bedingt damit die oben festgestellte Bildfelddrehung.

2.2 Quantifizierung der "Störgröße" Refraktion

Um ein Gefühl für die "Störgröße" Refraktion zu bekommen, wurden einige Messungen am Fernrohr durchgeführt. Interessante Aussagen lässt z.B. die Messung der Deklinations-Drift eines Sterns erwarten, der im Osten oder Westen als Kandidat für die Polhöhenjustierung nach der Horizont-Methode Verwendung finden würde. Also wurde ein geeigneter Stern bei niedriger Deklination im Südwesten mit einem Messokular eingestellt. Er wurde zweieinhalb Stunden lang bis zu seinem Verschwinden am Horizont verfolgt; seine Drift in Deklinationsrichtung wurde laufend im Messokular abgelesen.

Der Vorgang wurde bei geringfügig unterschiedlicher Polhöhe mehrfach wiederholt, wovon zwei Kurven exemplarisch in nachfolgendem Diagramm wiedergegeben sind. Das Ganze fand natürlich bei optimal eingestelltem Azimutwinkel statt, damit dessen Einfluss eliminiert ist. Das genaue Aussehen der Kurven hängt auch von der geografischen Breite des Beobachtungsortes und der Deklination des Sterns ab, ändert sich aber nicht grundlegend.

Polhoehe_Abb3_640x480.jpg
Abb. 3: Veränderung der scheinbaren Deklination des im Westen untergehenden Sterns Regulus im Sternbild Löwe in Abhängigkeit vom Stundenwinkel. Die beiden Kurven unterscheiden sich nur aufgrund einer geringfügigen Polhöhenveränderung. Kurve K1 gilt für optimale Polhöhe, bei Kurve K2 war die Polhöhe um 5' zu steil eingestellt.

2.3 Diskussion der Messungen

Kurve K1:

Die grüne Kurve K1 zeigt die Drift bei optimal eingestellter Polhöhe, d.h. die Stundenachse ist genau auf den scheinbaren Himmelspol ausgerichtet. In dieser Stellung würde man bei Polaufnahmen keine Bildfelddrehung mehr feststellen. Dass diese Messung wirklich bei optimaler Polhöhe vorgenommen wurde, kann natürlich nur mit einer "geeigneteren" Methode als dem horizontnahen Einscheinern festgestellt werden; aber das soll uns momentan noch nicht interessieren - nehmen wir die optimale Polhöhe einfach als gegeben hin.

Diskussion:

  • Der Kurve K1 kann man entnehmen, dass die Deklination mit fortschreitendem Stundenwinkel (d.h. sich dem Westhorizont nähernden Stern) ansteigt. Im Messokular ist also eine Drift feststellbar. Infolgedessen würden wir die Polhöhe nach der Scheiner-Methode soweit verändern, bis keine Drift mehr zu sehen ist, die Kurve im beobachteten Stundenwinkelbereich also waagerecht verläuft. Mit dem Wissen, dass K1 in Wirklichkeit bei optimaler Polhöhe aufgenommen wurde, würde eine Veränderung damit zwangsläufig zu einer falschen Polhöhe führen. Die in Kurve K1 sichtbare Deklinations-Drift ist somit nicht das Resultat einer falschen Polhöhe, sondern wird ausschließlich von der "Störgröße" Refraktion verursacht. Die Eliminierung dieser Störgröße wird zu einer optimalen Ausrichtung der Stundenachse auf den scheinbaren Himmelspol führen.
  • Und noch etwas kann man aus K1 ablesen. Die Kurve ist keine Gerade, sondern nach oben gekrümmt; ihre Steigung nimmt also mit dem Stundenwinkel zu. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, weil bekannt ist, dass sich der Einfluss der Refraktion zum Horizont hin immer stärker bemerkbar macht. Infolgedessen wäre die erhaltene Polhöhe auch noch davon abhängig, bei welchem Stundenwinkel sich der Stern während der Messung befindet - alles in allem eine höchst unbefriedigende Situation.

Kurve K2:

Die rote Kurve K2 zeigt die Drift bei einer um 5 Bogenminuten zu steil eingestellten Polhöhe, d.h. die Stundenachse ist auf einen Punkt etwas über dem scheinbaren Himmelspol gerichtet. Der Azimutwinkel war nach wie vor perfekt abgeglichen.

Diskussion:

  • Die Kurve K2 kann man grob in drei Abschnitte einteilen. Der steile Anstieg der Deklination im rechten Bereich, der auch schon in Kurve K1 festgestellt werden konnte, ist wieder zum überwiegenden Teil die Auswirkung der starken atmosphärischen Refraktion in Horizontnähe.
  • Ein wesentlicher Unterschied wird jedoch im linken Abschnitt der Kurve K2 deutlich. Im Gegensatz zu K1 fällt die Deklination hier ab, das Vorzeichen der Steigung (= Drift) hat also gewechselt. Hier können wir also erstmals die Auswirkung der um 5 Bogenminuten zu steil eingestellten Polhöhe deutlich erkennen.
  • Der mittlere Abschnitt von K2 verläuft fast waagerecht, d.h. im Okular ist kaum eine Drift erkennbar. Wenn die Justierung der Polhöhe mit einem Stern in diesem Stundenwinkelbereich durchgeführt wird, wiegt man sich in der Sicherheit einer vermeintlich idealen Polhöhe. Genau diesem Fehler bin ich erlegen, als die Aufnahmen in Abbildung 1 und 2 belichtet wurden. In Wirklichkeit war die Polhöhe in K2 um 5 Bogenminuten zu steil eingestellt. Ursache für den waagerechten Kurvenverlauf ist hier lediglich, dass sich die Wirkungen der falschen Polhöhe und der "Störgröße" Refraktion gerade vorzeichenmäßig kompensieren.

3. Welche Verbesserungsmöglichkeiten oder Alternativen gibt es?

Im vorangehenden Abschnitt haben wir gesehen, dass die Verwendung eines horizontnahen Sterns zum Justieren der Polhöhe denkbar ungeeignet ist, wenn man genaue Resultate erhalten möchte. Das war auch Julius Scheiner bewusst, als er sein Verfahren veröffentlichte und ergänzend bemerkte, dass der Einfluss der Refraktion eliminiert werden müsste. Seine klassische Methode meistert diese Aufgabe in idealer Weise. Leider wird in der astronomischen Amateurliteratur oft die Horizont-Methode wiedergegeben, ohne auf die dadurch entstehenden Probleme mit der Refraktion hinzuweisen. Die Folgen sieht man dann in den Abbildungen 1 und 2 an der sich abzeichnenden Bildfelddrehung.

Nachfolgend werden einige Verfahren kurz angerissen, wie der störende Einfluss der Refraktion vermindert oder beseitigt werden könnte. Die Liste erhebt natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sie gibt lediglich die Möglichkeiten wieder, die der Autor schon selbst ausprobiert hat.

3.1 Eliminierung der Refraktion durch "Referenzkurven"

In der in Kurve K2 aus Abbildung 3 dargestellten Deklinations-Drift sind sowohl der Beitrag einer um 5 Bogenminuten zu steil eingestellten Polhöhe als auch die Refraktion enthalten. Die Aufnahme von Kurve K1 wurde dagegen bei optimaler Polhöhe durchgeführt, sie enthält also nur den Beitrag der Refraktion. Plastisch gesehen unterscheiden sich die beiden Kurven also nur durch die unterschiedliche Polhöheneinstellung - der Refraktions-Beitrag ist in beiden nahezu identisch. Um die in K2 enthaltene Refraktion zu eliminieren, könnte man nun K1 von K2 abziehen. Übrig bleiben wird dann im Wesentlichen der Beitrag der falsch eingestellten Polhöhe aus K2 und Einnorden nach dieser resultierenden Kurve K2-K1 lässt eine relativ gute Polhöhenjustierung erwarten.

Polhoehe_Abb4_640x368.jpg
Abb. 4: Stundenwinkelbezogene Differenz K2-K1 der beiden Deklinations-Drift-Kurven aus Abb. 3. Die Subtraktion der "Referenzkurve" K1 eliminiert die atmosphärische Refraktion in K2. Aus der Differenz kann die Fehlausrichtung der Polhöhe berechnet und anschließend korrigiert werden.

Durch Überlegungen kommt man zu dem Schluss, dass die Differenzkurve in Abbildung 4 den Ausschnitt einer Sinuskurve zeigen sollte, wobei sich der Nulldurchgang beim Stundenwinkel 6h befindet. Sinuskurven haben im Bereich des Nulldurchgangs einen relativ "geraden" Verlauf, was auch in Abbildung 4 deutlich wird. Für unsere Zwecke reicht eine Annäherung durch eine Gerade aus; wer es besonders genau haben möchte, kann natürlich auch einen Sinusverlauf reinlegen. Aus der Steigung der Geraden (bzw. der Sinuskurve bei 6h) kann mit obiger Formel direkt der Fehler der Polhöhenjustierung berechnet und anschließend korrigiert werden. Das Ziel einer exakten Polhöheneinstellung wird erreicht und auch die beobachtete Abhängigkeit der Deklinations-Drift vom Stundenwinkel (siehe Abschnitt 2.3) wird vermieden.

Trotzdem hat dieses Vorgehen auch einige Nachteile:

  • Der Umgang mit Kurvenverläufen ist etwas umständlicher als mit einzelnen Zahlenwerten, v.a. im freien Feld.
  • Es wird eine sogenannte Referenzmessung (= Kurve K1) bei optimaler Polhöhe benötigt. In der Realität müssten viele solcher Referenzkurven zur Verfügung stehen, da die zum Einscheinern verwendeten Nachführsterne unterschiedliche Deklinationen haben werden. Außerdem hängt der Verlauf der Referenzkurven noch von der geografischen Breite des Beobachtungsortes ab. Man könnte die Kurven zwar mit einem Computerprogramm erzeugen, trotzdem bleibt das Handling etwas umständlich.
  • Die Wirkung der Refraktion ist nicht konstant; sie hängt z.B. von Temperatur, Luftdruck und Höhe über NN ab. Hieraus könnten sich Restfehler bei der Polhöhe ergeben.

3.2 Verwendung eines Sterns höherer Deklination

Die Kurvenverläufe in Abbildung 3 zeigen auch einen anderen Weg auf. Um dem Problem der horizontnahen Refraktion aus dem Weg zu gehen, kann man einen höher stehenden Stern verwenden. Da die Ost- oder Westrichtung zum Justieren der Polhöhe nach dem Scheiner-Verfahren beibehalten werden muss, bleibt nur der Ausweg einer höheren Deklination des Nachführsterns. Auf diese Möglichkeit wird auch oft in der Literatur hingewiesen und sie führt schließlich zur klassischen Scheiner-Methode. Sie wird sicher von den "Profis" in der Amateur-Astrofotografie genutzt, sonst wären so perfekte Ergebnisse, wie sie in den einschlägigen Astrozeitschriften und -büchern immer wieder bewundert werden können, kaum denkbar.

3.3 »Alternatives Verfahren«

Dieses Verfahren vermeidet die in Abschnitt 3.1 geschilderten Probleme und führt zu einem genauso guten Justierergebnis bei der Polhöhe, wie es das klassische Scheiner-Verfahren bei Verwendung eines polnahen Kontrollsterns bietet. Wie es genau funktioniert, braucht hier nicht mehr dargelegt werden; es ist in oben genanntem Interstellarum-Beitrag ausführlich nachzulesen. Nur ein paar Ergänzungen seien zum tieferen Verständnis erlaubt. Zur Vermeidung jeglicher von der Refraktion hervorgerufener Ungenauigkeit wird ein Stern nahe 90° Deklination verwendet. Nachführstern und Himmelspol liegen also so nahe beisammen, dass sie praktisch die gleiche Refraktionswirkung erfahren.

Beim »Alternativen Verfahren« wird jedoch nicht die Deklinations-Drift, sondern die Differenz der Bahngeschwindigkeiten eines Sterns um Himmelspol und Montierungspol ermittelt. Da der Deklinationsdrift-Vektor und der Bahngeschwindigkeits-Vektor einen rechten Winkel einschließen, wird diese Messung im Gegensatz zum Scheiner-Verfahren nicht im Osten oder Westen, sondern in der Nähe des Südmeridians durchgeführt. Über eine Formel kann aus der beobachteten Geschwindigkeitsdifferenz direkt die Fehlstellung der Polhöhe berechnet und anschließend (bei nicht zu großer Messzeit) in einem einzigen Schritt korrigiert werden.


4. Tipps und Tricks zum Einnorden der Montierung

Die Beherzigung der nachfolgenden Hinweise können sowohl dem engagierten Amateur als auch dem "Perfektionisten" dienlich sein.

4.1 Montierungsflansch waagerecht ausrichten

Beim Aufbau des Stativs sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass der Montierungsflansch, auf dem die Montierung sitzt und um den sie für den Azimutabgleich gedreht wird, möglichst waagerecht ausgerichtet ist. Dosenlibelle oder Wasserwaage leisten hier wertvolle Hilfe. Um nachträgliche Verkippungen zu vermeiden, sollten vor allem bei "leichten" Stativen noch vor der Nivellierung das Achsenkreuz, Tubus und Gegengewichte montiert und ausbalanciert werden. Nur so sichert man sich den Vorteil, später Azimut und Polhöhe vollkommen unabhängig voneinander justieren zu können. Die formelmäßige Berechnung und Durchführung der nötigen Korrekturen wird damit erst richtig effektiv, da eine Veränderung in einer Achse (z.B. Azimut) die andere Achse (Polhöhe) nicht mehr beeinflusst. Dies führt insgesamt zu einem minimalen Zeitbedarf für das Einnorden der Montierung.

4.2 Welche Deklination sollte der Stern für die Azimutkorrektur haben?

Auch bei der Azimutjustierung nach der Scheiner-Methode ist der Kontrollstern natürlich der atmosphärischen Refraktion ausgesetzt. Deshalb ist prinzipiell die Verwendung eines hochstehenden Sterns sinnvoll. Hier bietet sich zum Beispiel ein Stern nahe des Zenits an.

4.3 Messzeit symmetrisch zum Südmeridian wählen (für Azimut)

Nach J. Scheiner wird der Justierfehler des Azimutwinkels durch Deklinations-Driftmessung an einem Stern im Süden ermittelt. Vor allem für eine hochgenaue Azimutwinkel-Justierung sollte die Messung symmetrisch um den Südmeridian erfolgen. Dies bedeutet, dass sich der Stern während der Messung genauso lange auf der Osthälfte wie auf der Westhälfte der sichtbaren Hemisphäre aufhalten sollte, was wiederum voraussetzt, dass man sich schon vorher Gedanken über die angestrebte Dauer der Messung macht.

Beispiel: Für eine hochgenaue Messung der Azimutabweichung solle die Messzeit 2 Stunden betragen!

  • Messung beginnen, wenn sich Kontrollstern bei Stundenwinkel 23:00 (= 1h Ost) befindet
  • Messung endet, wenn der Stern den Stundenwinkel 01:00 (= 1h West) erreicht hat
Durch diese Maßnahme werden zwei Störeinflüsse eliminiert, die zu einer geringen Fehlausrichtung beim Azimut führen würden:
  • Bei langer Messzeit wird ein entsprechend großer Stundenwinkelbereich überstrichen, wodurch der Kontrollstern einer stärkeren differenziellen Refraktionswirkung ausgesetzt ist. Dies führt zu einer zusätzlichen Deklinationsdrift im Messokular. Da die Refraktionswirkung spiegelsymmetrisch zum Südmeridian verläuft, wird sie im obigen Beispiel bei 1h Ost und 1h West gleich groß sein und somit zu keiner Verfälschung der Deklinationsdrift-Messung mehr beitragen.
  • Auch eine vorhandene Polhöhenabweichung erscheint bei langen Messzeiten v.a. weit abseits vom Südmeridian als zusätzliche Deklinationsdrift im Okular. Ursache sind die unterschiedlichen "Radien" der von Stern und Fernrohr (wohin es gerichtet ist) durchlaufenen Bögen am Nachthimmel. Symmetrische Messpositionen um den Südmeridian eliminieren auch diesen Störeinfluss.

4.4 Messzeit symmetrisch zum Südmeridian wählen (für Polhöhe)

Auch das »Alternative Verfahren« für die Justierung der Polhöhe verlangt nach einem Kontrollstern im Bereich des Südmeridians (wobei das Fernrohr hier letztlich nach Norden gerichtet ist). Natürlich sollte die Messung auch hier symmetrisch um den Südmeridian erfolgen. Der Grund ist allerdings nicht die Verringerung sekundärer Refraktionseinflüsse, wie im Abschnitt 4.3, sondern die unterschiedlichen Kreisradien der Bahnen von Stern und Fernrohr um den Himmelspol. Je größer der Abstand zum Südmeridian wird, desto mehr weichen die beiden Kreisbahnen bei noch vorhandenem Polhöhenfehler voneinander ab (siehe Abbildung 1 im Interstellarum-Artikel).

4.5 Lässt sich das »Alternative Verfahren« auch auf den Azimutwinkel anwenden?

Für die Justierung des Azimutwinkels liefert das von J. Scheiner vorgestellte Verfahren sehr gute Ergebnisse. Eine prinzipielle Verbesserung ist hier nicht notwendig. Trotzdem lässt sich das Verfahren, das ich in Interstellarum Nr. 41 beschrieben habe, auch auf den Azimutwinkel anwenden.

Für die Ermittlung des Justierfehlers im Azimut ist beim »Alternativen Verfahren« ein Stern im Umfeld des West- oder Ostmeridians bei +/-6h heranzuziehen (vergleiche: Die Scheiner-Methode verlangt hierfür einen Stern im Süden). Wie schon bei der Polhöhe wird auch hier ein Stern bei hoher Deklination (85...89°) verwendet. So eliminiert man den störenden Einfluss der atmosphärischen Refraktion, weil sowohl Himmelspol als auch Kontrollstern nahezu die gleiche Refraktionswirkung erfahren. Nach der Messung kann für die Berechnung des Azimut-Korrekturwertes die gleiche Formel herangezogen werden, die auch schon für die Polhöhen-Korrektur angegeben wurde. Der mathematische Hintergrund ist absolut identisch, nur die Himmelsrichtungen differieren. Gedanken muss man sich also lediglich über die Richtung der Korrektur machen. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob man einen Kontrollstern östlich oder westlich des Himmelspols gewählt hat. Insgesamt können die folgenden vier Fälle unterschieden werden.

Die ersten vier Fälle (1 bis 4), die das Standard-Verfahren zum Einnorden behandeln, sind im zugehörigen Interstallarum-Artikel (siehe Einleitung) ausführlich beschrieben. Hier finden sie sich in der "Anleitung zum Einnorden" im Anhang A2. Die restlichen vier Fälle (5 bis 8) erklären die Aktionen zum Justieren des Azimuts nach dem »Alternativen Verfahren« und folgen sogleich:

Kontrollstern befindet sich westlich des Himmelspols, d.h. im Stundenwinkel-Bereich +6h:

  • Fall 5:
    Stundenachse müsste nach Norden gedreht werden, um Stern wieder ins Fadenkreuz zu bringen, d.h. die Montierung bewegte sich scheinbar langsamer als der Stern --> Montierung von oben gesehen im Uhrzeigersinn drehen
  • Fall 6:
    Stundenachse müsste nach Süden gedreht werden, um Stern wieder ins Fadenkreuz zu bringen, d.h. die Montierung bewegte sich scheinbar schneller als der Stern --> Montierung von oben gesehen gegen Uhrzeigersinn drehen

Kontrollstern befindet sich östlich des Himmelspols, d.h. im Stundenwinkel-Bereich -6h (=18h):

  • Fall 7:
    Stundenachse müsste nach Süden gedreht werden, um Stern wieder ins Fadenkreuz zu bringen, d.h. die Montierung bewegte sich scheinbar langsamer als der Stern --> Montierung von oben gesehen gegen Uhrzeigersinn drehen
  • Fall 8:
    Stundenachse müsste nach Norden gedreht werden, um Stern wieder ins Fadenkreuz zu bringen, d.h. die Montierung bewegte sich scheinbar schneller als der Stern --> Montierung von oben gesehen im Uhrzeigersinn drehen

4.6 Zum "krönenden" Schluss

Wenn Sie es bis hierher durchgehalten haben, dann ist die Stundenachse nun möglicherweise perfekt auf den scheinbaren Himmelspol ausgerichtet. Zur Bestätigung kann man einen aufschlussreichen Versuch durchführen, wenn man mit dem Fadenkreuzokular einen polnahen Stern ins "Visier" nimmt (Deklination > 80°). Im Laufe eines Sterntages (=23h 56min 04s) wird sich die Montierung einmal um ihre Achse drehen und den Stern nicht mehr "aus dem Auge (bzw. Okular)" lassen. Im Idealfall bleibt der Stern die ganze Zeit über exakt im Fadenkreuz.

!!! Aber ACHTUNG !!!:

Dieser Versuch kann natürlich nur mit Gabelmontierungen durchgeführt werden. Bei Montierungen deutscher Bauart wird irgendwann die Optik gegen das Stativ schlagen - und ich möchte hierfür natürlich!!! nicht verantwortlich gemacht werden. Viel Spaß beim Einnorden!

Anschließend will ich noch anmerken, dass es bei Verwendung des klassischen Scheiner-Verfahrens von Anfang an zu keinen Problemen gekommen wäre. Nur die zu Beginn von mir gewählte Horizont-Methode verursacht die in den Abbildungen sichtbare Bildfelddrehung. Trotzdem hat die Sache auch ein positives Element, da bei den anschließenden Verbesserungsversuchen die in den Abschnitten 3.1 und 3.3 angegebenen Alternativen gefunden wurden.

Zum Schluss will ich es nicht versäumen, mich bei Herrn Dr. M. Wildi für seine entscheidenden Hinweise zur klassischen Scheiner-Methode ganz herzlich zu bedanken.

Polhoehe_Abb5_640x480.jpg


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Otto J. Pilzer, 2005-08-26