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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Monatsthema August 2004: "Der Welt grösste Haufen"

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Dieser Galaxienhaufen, Abell 2218, zeigt neben vielen elliptischen Galaxien und Scheibengalaxien in allen Grössen langgezogene, meist gebogene Strukturen. Dabei handelt es sich um Abbilder viel weiter entfernter Galaxien, die durch den Gravitationslinseneffekt verzerrt werden. Aus der Analyse dieser verzerrten Bilder lässt sich die Masse des Haufens rekonstruieren. Abell 2218 ist ein normaler, grosser Galaxienhaufen in einer Entfernung von etwa 700 Megaparsec oder 2 Milliarden Lichtjahren. Er besteht aus einigen tausend Galaxien. Die Aufnahme wurde im Dezember 1999 mit dem Hubble Weltraum Telescope gemacht. (Referenz: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2000/07/image/b)
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Ameisen leben in Ameisenhaufen, Menschen sammeln sich in Städten, Planeten laufen um die Sonne als Sonnensystem, Sterne kurven in Sternhaufen herum und Galaxien in Galaxienhaufen. So einfach ist die Welt: Das meiste in ihr "häuft sich". Im Zeitalter des schneller, besser, grösser konzentrieren wir uns auf das Maximum: den grössten Ameisenhaufen, die grösste Stadt (vielleicht Mexico City?), den grössten Sternhaufen und so weiter.

Am Ende gelangen wir zu den Galaxienhaufen. Es gibt keine grösseren Haufen als sie. Sie sind die grössten eigenständigen Strukturen im Universum. Das gesagt, sollte nun jederfrau und jedermanns gigantomanisches Interesse geweckt sein.

Ein wenig nüchterner betrachtet sind Galaxienhaufen die grössten gebundenenen Systeme im Universum. Gebunden bedeutet, dass seine Mitglieder sich nicht aus dem Staub machen können. Einmal in einem Galaxienhaufen gelandet, bleibt eine Galaxie für den Rest ihres Lebens darin. Die bindende Kraft ist die Gravitation, die wir auf der Erde als "Schwerkraft" kennen. Die Gravitation ist von den vier physikalischen Kräften diejenige mit der grössten Reichweite; aus diesem Grund hält sie die grössten Strukturen, die Galaxienhaufen, zusammen.

Galaxienhaufen führten in der Astronomie lange Zeit ein Mauerblümchendasein. Nur wenige Astronomen interessierten sich für sie - man hielt sie für langweilig. Aus guten Grund hat sich das in der jüngeren Vergangenheit geändert. Wie häufig in den Naturwissenschaften trieben neue technische Mittel die Fortschritte an. Im Bereich der Galaxienhaufen sind das die folgenden:

Immer grössere Teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) erlauben einen besseren Blick auf weit entfernte und damit ältere Objekte. Wir können die Entwicklungsgeschichte von Galaxienhaufen immer weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen. Mit Spektrografen können die Geschwindigkeiten der Galaxien in den Haufen gemessen und ihre dynamischen Zustände daraus ermittelt werden. Mit diesen Daten kann ein Galaxienhaufen "gewogen", das heisst, seine Masse bestimmt werden. Das hat erstmals Fritz Zwicky, ein schweizerisch-amerikanischer Astronom mit sieben Galaxien gemacht. Sein Resultat sorgte für grosses Staunen: die Galaxienhaufen mussten etwa fünfhundertmal mehr Masse haben als man aufgrund ihrer Helligkeit vermuten würde. Zwicky nannte dies das "missing mass problem", das Problem der fehlenden Materie. Die Lösung für dieses Problem ist die Dunkle Materie (dark matter), deren Natur immer noch unbekannt ist und daher Gegenstand intensiver Forschungen.

Neuere Ergebnisse mit den Geschwindigkeiten von hunderten von Galaxien und ausgefeilteren Modellen stützen übrigens Zwickys Ergebnis.

Natürlich könnte dieses erstaunliche Resultat an einer ungenügenden oder falsch angewendeten Methode liegen. Wie die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt, kupfern viele "normale" Wissenschaftler von den Koryphäen ihres Faches ab - bis man jemandem den Gegenbeweis glaubt, der oft schon eine Weile bekannt ist. Was tun, um sicher zu gehen? Man verwende eine unabhängige Methode.

Davon gibt es zweierlei. Die erste sind Röntgenuntersuchungen von Galaxienhaufen. Da die Erdatmosphäre für Röntgenstrahlung undurchsichtig ist, muss man dazu ins Weltall gehen: man montiert ein Röntgenteleskop auf einen Satelliten. Der erste seiner Art war der Uhuru-Satellit der NASA, der 1974 beim Ort Uhuru in Kenia gestartet wurde. Die früheren Röntgensatelliten konnten nur sehr schlecht aufgelöste Aufnahmen machen. Mit zunehmender Entwicklung der Röntgenteleskope und Kameras wurde die räumlich und spektral aufgelöste Untersuchung von Galaxienhaufen möglich. Einen Meilenstein stellte der ROSAT-Satellit des Max-Planck-Institutes für extraterrestrische Physik in Garching dar, der 1990 startete. Mit ihm konnte die Verteilung des Röntgengases in den Galaxienhaufen und dessen Temperaturverteilung mit guter Präzision gemessen werden. Aus der Temperaturverteilung kann die Massenverteilung im Galaxienhaufen berechnet werden. Das Ergebnis deckt sich mit dem der oben genannten dynamischen Methode. Das Dunkle-Materie-Problem ist real.

Eine weitere Möglichkeit bietet das "gravitational lensing", die Technik der Gravitationslinsen. Licht wird von massereichen Körpern ähnlich wie in Glaslinsen gebrochen. Aus den verzerrten Bildern kann man - es mag erstaunlich klingen - die Masse der "Linse" bestimmen. Wie im Bild zu diesem Artikel kann diese Linse ein Galaxienhaufen sein. Auch die damit bestimmten Massen decken sich mit denen der beiden anderen Methoden.

Auf diesem kurzen Überblick über die Beobachtungstechniken sind wir den Hauptzutaten eines Galaxienhaufens begegnet. In der Reihenfolge ihres Massenanteils sind das die Dunkle Materie, die Galaxien, heisses Röntgengas. Das ist noch nicht alles. Vor einigen Jahren wurden im Virgohaufen einzelne Sterne entdeckt; offenbar sind diese bei Wechselwirkungen von Galaxien im Haufen abgestreift worden und ziehen nun frei im Galaxienhaufen umher. Es scheint auch Kugelsternhaufen zu geben, die das gleiche Schicksal erlitten haben.

Andreas Kornawitter


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Otto J. Pilzer, 2004-08-01