- Astronomie im Berchtesgadener Land - Monatsthema Dezember 2004: "Kannibalismus und ein flotter Dreier"Die Zeichnung von PD Dr. Bruno Binggeli (Astronomisches Institut der Universität Basel) zeigt die meisten Galaxien der Lokalen Gruppe in Relation zueinander. Die Grössenunterschiede werden offenbar: während die Andromeda-Galaxie (M 31) nur teilweise ins Bild passt, sind die kleinsten Galaxien der Lokalen Gruppe wie Ursa minor oder die Draco-Zwerggalaxie kaum noch sichtbar. Die Sagittarius-Zwerggalaxie fehlt übrigens auf dem Bild: zum Zeitpunkt der Entstehung war sie noch nicht entdeckt. [Zum Vergrößern bitte Bild anklicken] Vor zehn Jahren fanden Leser der Wissenschaftsseiten von Zeitungen eine Meldung über einen Fall von Kannibalismus. Dabei ging es aber nicht um Menschen, die Menschen verspeisen, sondern um unsere kosmische Heimat, die Milchstraße, und die unscheinbare, eben erst entdeckte Sagittarius-Zwerggalaxie. Die Sagittarius-Galaxie befindet sich auf der von uns aus gesehen fernen Seite der Milchstrasse, etwa 25 kpc (80000 Lichtjahre) vom Zentrum unserer Heimat entfernt. Sie ist mit etwa zehnmillionenfacher Sonnenleuchtkraft eine eher kleine Galaxie, und sie ist stark auseinander gezogen. Dies ist ein Effekt, der auf der Anziehungskraft der viel massereicheren Milchstrasse beruht. Bis heute ist die Sagittarius-Galaxie unser nächster bekannter extragalaktischer Nachbar. Trotz ihrer Nähe ist sie jedoch erst 1994 vom Astronomen Rodrigo Ibata entdeckt worden. Es ist so schwierig, Zwerggalaxien zu finden, weil die Sterne der Milchstrasse im Vordergrund und die Sterne der Zwerggalaxie sich auf einer Aufnahme einfach vermischen. Der Weg, die Zwerggalaxien zu finden, besteht darin, Sterne in Aufnahmen zu zählen und mit Hilfe der Statistik herauszufinden, ob die Sterndichte in diesem Gebiet überhöht ist. Weil die Sterndichte je nach Himmelsregion verschieden ist, z.B. hoch entlang des Milchstrassenbandes und niedrig senkrecht zu ihr, muss diese Methode für jede Region angepasst werden. Hat man eine Überhäufigkeit gefunden, muss verifiziert werden, dass es sich tatsächlich um eine Galaxie handelt, und nicht nur um eine zufällige Häufung. Dazu werden die Entfernungen zu möglichst vielen Sternen gemessen, eventuell auch Eigenbewegungen. Mit diesen Daten können die Vordergrundsterne in der Milchstrasse von denen der Zwerggalaxie getrennt werden. Insgesamt handelt es sich um ein sehr aufwändiges Verfahren. Weil die Sterne der nahen Galaxien weniger stark konzentriert erscheinen als die der ferneren, sind die nächsten Nachbarn schwieriger zu finden. Wieso handelt es sich um Kannibalismus? Mit Kannibalismus bezeichnen Astronomen den Prozess einer Verschmelzung einer kleinen mit einer viel grösseren Galaxie. Wenn eine Zwerggalaxie einer grossen wie der Milchstrasse nahe kommt, wird sie durch einen Prozess dynamischer Reibung abgebremst und nähert sich immer weiter dem grossen Partner, bis sich die Materie des kleinen mit dem des grossen praktisch vollständig vermischt. Sorgen um Kollisionen von Sternen brauchen wir uns nicht zu machen - nicht weil gegenwärtig die Sagittarius-Galaxie auf der anderen Seite der Milchstrasse ist, sondern weil die Wahrscheinlichkeit von Zusammenstössen von Sternen praktisch Null ist. Die Sagittarius-Galaxie ist nicht die einzige Zwerggalaxie im Umfeld der Milchstrasse mit diesem Schicksal. Die auf der Südhalbkugel mit blossem Auge gut sichtbaren Magellanschen Wolken befinden sich in einer ähnlichen Situation, nur sind sie noch weiter entfernt und erhalten sich ihre "Unabhängigkeit" dadurch noch etwas länger. Im Bereich des optischen Lichts sind die Magellanschen Wolken klar getrennt. In Radiobeobachtungen erkennt man aber, dass sie durch einen Gasstreifen miteinander verbunden sind. Unserer Heimatgalaxie könnte ein ähnliches Schicksal blühen wie den oben beschriebenen Zwerggalaxien. Die zweite, sogar etwas grössere Galaxie der Lokalen Gruppe, M31 oder Andromeda, tanzt einen engen Tanz mit der Milchstrasse. Dieser wird voraussichtlich irgendwann mit einem "Merger" enden, einer Verschmelzung zweier gleichwertiger Galaxien. Das Endprodukt dieser Fusion wird einer elliptischen Galaxie der Art von Centaurus (NGC 5128) ähneln. Eine weitere Galaxie gehört zu den "Grossen" in der Lokalen Gruppe: M33 oder Triangulumnebel. Wir sehen sie praktisch "von oben" (face on), so dass ihre Spiralstruktur gut sichtbar ist. Sie ist bereits um ein gutes Stück leuchtschwächer als die Milchstrasse und Andromeda, mit welchen sie einen "flotten Dreier" abgibt. Gruppe im astronomischen Sinn bedeutet, dass die Galaxien durch die Anziehungskraft miteinander verbunden sind, d.h. dass nicht ein Gruppenmitglied "einfach" davonfliegen kann. Zur Lokalen Gruppe gehören 31 derzeit bekannte Mitglieder. Neben den genannten drei grossen Spiralgalaxien sind die anderen Mitglieder irreguläre oder zwergsphäriodale Galaxien. Es ist auch möglich, dass noch weitere Mitglieder der lokalen Gruppe gefunden werden. Zwerggalaxien sind, wie oben beschrieben, sehr schwer zu finden. Es kann auch sein, dass eine Galaxie durch eine andere verdeckt wird, oder dass sie sich in der "verbotenen Zone" befindet. Diese Zone liegt in der Milchstrasse: wir befinden uns mitten in der Gas- und Staubscheibe, weshalb Beobachtungen entlang der Scheibe sehr schwierig sind. Im Vergleich mit anderen Gruppen ist die Lokale Gruppe durchschnittlich, sowohl hinsichtlich Zusammensetzung als auch der Grösse. Deutlich reicher als Gruppen sind die Galaxienhaufen wie der Virgo- oder Comahaufen. Letztere kann man mit Städten vergleichen, die von Dörfern, den Gruppen, umgeben sind. Andreas Kronawitter
Zum Sternenhimmel Dezember 2004
Zurück zur Home Page der AAL Otto J. Pilzer, 2004-12-01 |