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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Monatsthema Oktober 2005: "Kugelsternhaufen"

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NGC 1916 ist mit 13 bis 15 Milliarden Jahren einer der alten Kugelsternhaufen der Grossen Magellanschen Wolke. Die Aufnahme wurde 1999 mit der 67 Millionen Pixel Kamera am 2.2 m Teleskop der ESO in La Silla, Chile aufgenommen. Trotz der hohen Auflösung kann man die Sterne im Zentrum nicht mehr einzeln auflösen.
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Vor genau fünfundachtzigeinhalb Jahren, im April 1920, fand im grossen Auditorium des Smithsonian's National Museum of Natural History in Washington, DC, eine aufsehenerregende Debatte statt, die heute als "great debate" (Grosse Debatte) bekannt ist. Damals diskutierten vor einem zahlreichen Publikum Harlow Shapley und Heber D. Curtis über die Grösse der Milchstrasse. Ausgangspunkt war eine Beobachtung Shapleys, dass Kugelsternhaufen oder kurz Kugelhaufen nicht gleichmässig am Himmel verteilt sind, sondern sich auf der einen Seite des Himmels konzentrieren. Da die Kugelhaufen zur Milchstrasse gehören, schloss Shapley daraus, dass die Sonne nicht im Zentrum der Milchstrasse steht. Mit einer Methode zur Entfernungsbestimmung konnte er sogar den Abstand unseres Sonnensystems vom galaktischen Zentrum und die Grösse der Milchstrasse insgesamt bestimmen. Seine Grössen stellten sich in der Great Debate zwar als ziemlich weit entfernt von der Realität heraus (er hatte die falsche Art der Entfernungsbestimmung angewandt), aber das Prinzip war richtig. Es war die erste "Anwendung" von Kugelhaufen für astronomischen Erkenntnisgewinn.

Wie der Name sagt, sind Kugelsternhaufen kugelförmig. Sie enthalten zwischen einigen zehntausend und einigen Millionen Sterne, die in einem Raum von nur etwa 150 Lichtjahren konzentriert sind. Damit sind die Sterne im Zentrum der Haufen sehr stark verdichtet: die Sterndichte im Zentrum eines Kugelhaufens ist bis zu zehntausendmal höher als die Sterndichte der Sonnenumgebung. Auf einer normalen Aufnahme kann man die Sterne im zentralen Bereich eines Kugelhaufens nicht mehr einzeln auflösen.

Aufgrund ihrer hohen Dichte überleben Kugelhaufen Durchgänge durch die Milchstrassenscheibe nahezu unbeschadet. Allerdings ist das ein eher seltenes Ereignis für die Kugelhaufen, da sie die meiste Zeit im sogenannten Halo der Milchstrasse verbringen. Auch Kugelhaufen leben jedoch nicht ewig, aber ihre "Verdampfungzeit" ist länger als das Alter des Universums.

Aus den Untersuchungen der Sterne der Kugelhaufen wissen wir heute, dass sie mit 15 Milliarden Jahren zu den ältesten grossen Objekten im Universum gehören. Die meisten von ihnen sind bereits in der Frühphase der Galaxienentstehung gebildet worden. Das Alter der Kugelhaufen bestimmt man, indem man die Sterne darin untersucht und in einem sogenannten Hertzsprung-Russell-Diagramm aufträgt. Die Lage der Sterne in diesem Diagramm verrät das Alter des Sternhaufens. Als Grundannahmen müssen wir lediglich hineinstecken, dass die Sterne des Haufens zur gleichen Zeit entstanden sind - und dass unser Modell von der Sternentwicklung ausreichend korrekt ist. Allerdings sind nicht alle Kugelhaufen gleich alt. Beispielsweise finden wir in unserer Nachbargalaxie, der grossen Magellanschen Wolke, junge und sehr viel "metallreichere" Kugelsternhaufen (als Metalle bezeichnen Astronomen alles ausser Wasserstoff und Helium). Es zeigt sich, dass es in vielen grossen Galaxien eine sogenannte bimodale Verteilung von Kugelhaufen gibt: die älteren und "metallarmen", meist weiter von Galaxienzentrum entfernten, und die jüngeren metallreichen in kleineren Abständen vom Galaxienzentrum. Die Entstehung von Kugelhaufen kann bei verschmelzenden Galaxien heute direkt beobachtet werden.

Kugelhaufen verdichten sich im Lauf der Zeit durch einen speziellen Effekt. Viele ihrer Sterne sind Doppelsterne; wegen der hohen Sterndichte kommt es im Zentrum von Kugelhaufen zu Sternstössen. Darunter versteht man keinen direkten Zusammenstoss, sondern nahe Vorbeigänge, in welchen die Sterne von ihrer normalen Bahn abgelenkt werden. Bei einer Begegnung von einem Doppelstern mit einem einzelnen Stern verläuft diese Interaktion oft so, dass der leichteste der drei Sterne das System mit hoher Geschwindigkeit verlässt und häufig sogar aus dem Haufen geschleudert wird. Damit nimmt der Stern einen Teil der Bewegungsenergie mit, so dass der Kern des Haufens ein bisschen zusammensackt.

Kugelhaufen sind auch in anderen Spektralbereichen interessant; beispielsweise senden viele Röntgenstrahlung aus. Bis vor ein paar Jahren hielt man diese Strahlung für ein Signal von schwarzen Löchern. Es stellte sich aber heraus, dass es sich um "Low mass X-ray binaries" (LMXBs, Röntgendoppelsterne geringer Masse) handelt. Dabei gibt ein Stern im Riesenstadium Material auf einen Neutronenstern oder Weissen Zwerg ab. Beim Auftreffen des Materiestroms auf den Stern (oder dessen Akkretionsscheibe) wird Bremsstrahlung freigesetzt - genau wie in einer Röntgenröhre ihres Lieblingsradiologen.

Bis heute verdanken wir den Kugelsternhaufen eine Reihe von Erkenntnissen: sie verrieten uns Geheimnisse über die Dynamik von Galaxien, die Verteilung der Materie in Galaxienhaufen, die Frühgeschichte der Galaxienentstehung, die Sternentwicklung, sie geben uns einen Anhaltspunkt über das Alter des Universums... Und die Geschichte ist längst noch nicht am Ende.

Andreas Kronawitter


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Otto J. Pilzer, 2005-10-01