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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Monatsthema Februar 2006: "Der grosse Mixer"

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Die Aufnahmen des "Spiegelteams" (www.spiegelteam.de) zeigen die Spiralgalaxien NGC 891 (oben, Kantensicht) und NGC 1232 (unten, Aufsicht). Diese Galaxien ähneln der Milchstrasse und zeigen charakteristische Merkmale: Konzentration von kaltem Gas und Staub in der Scheibe, eine einhüllende "Dicke Scheibe" aus älteren Sternen und hell blau leuchtende Sternentstehungsregionen, eingebettet in rötlich leuchtende Gaswolken in den Spiralarmen.
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Vom Nordende des Mirabellgartens hat man eine grandiose Sicht auf einen wohlgestalteten Teil eines Supernovaüberrests. Eine Vielzahl von Produkten einer Supernovaexplosion zeigt sich dem Auge des aufmerksamen Betrachters: Kupfer in den Dachrinnen des Schlosses Mirabell, Aluminium und Zinn in den Bronzestatuen, Kalzium, Magnesium, Eisen, Titan, Natrium und Silizium in den verbauten Gesteinen, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff in den unterschiedlichen Pflanzen und so weiter. Weniger aufmerksame Beobachter mögen sich immerhin an den erbaulichen Formen erfreuen.

Supernovaexplosionen spielen eine wichtige Rolle in der Galaktochemodynamik. Dieses etwas holprige Wort bezeichnet ein seit etwa 1990 immer intensiver bearbeitetes Fachgebiet der Astrophysik, das sich mit der Entwicklung der Milchstrasse und anderer Galaxien beschäftigt. Galakto steht für die Milchstrasse; Chemo bedeutet die Entstehung der chemischen Elemente. Und Dynamik heisst die Lehre von der Bewegung. Es geht hier also um die Entwicklung von chemischen Elementen und deren Umverteilung durch die Bewegungsabläufe in Galaxien.

Als Ausgangslage haben wir ein gut dreihundertausend Jahre altes Universum mit einer erstaunlich gleichmässigen Verteilung von Materie und Energie; von den uns bekannten chemischen Elementen gibt es nur zwei in nennenswerten Mengen: Wasserstoff mit 75 % Anteil und Helium mit 25 %. Damit startend haben sich in etwa 15 Milliarden Jahren alle Galaxien, Sterne, Planeten, Monde und eben auch der Mirabellgarten samt Altstadtpanorama entwickelt.

Was braucht man für galaktochemodynamische Untersuchungen, und wie geht man dabei vor?

Zum Start greift man auf die Ergebnisse von vielen astronomischen Spezialdisziplinen zurück. Von den "Sternentwicklern", den Stellarastronomen, besorgt man sich Daten über den Aufbau, die Lebensdauer, Energie- und Materialabgabe, die kernphysikalischen Reaktionen und einige weitere physikalische Grössen von Sternen. Von den Galaxiendynamikern verwendet man die Methoden für die Galaxienmodelle und teilweise auch deren Computerprogramme als Basis. Von den Kosmologen braucht man Daten über die ursprüngliche Verteilung der Elemente, die Verteilung der Materie und der Energie und einige Zeitangaben wie das Alter des Universums.

Mit diesen physikalischen Gesetzen, die über ein "Netzwerk" mit einander verbunden werden, erstellt man ein Computerprogramm, das mit den genannten Daten gestartet wird. Da astronomische Daten oft nicht sehr genau bekannt sind, können wir durch Läufe des Computerprogramms mit verschiedenen Datensätzen auch deren Plausibilität testen, indem die Resultate mit den Beobachtungen der Milchstrasse und anderer Galaxien, siehe Bild, verglichen werden. Dabei können wir heute auf die immer besseren Beobachtungsdaten von den erdgebundenen Grossteleskopen und auf satelliten-montierte Detektoren im ganzen Spektralbereich von Radiosignalen bis zur hochenergetischen Gammastrahlung zurückgreifen.

Was lernen wir aus solchen Simulationen?

Dr. Markus Samland von der Universität Basel hat Modelle für etliche verschiedene Galaxientypen mit verschiedenen Datensätzen durchgerechnet. Alle diese Modelle werden in den verschiedenen Entwicklungsstadien abgespeichert und können so mit den Beobachtungen von Galaxien in allen zugänglichen Altersbereichen verglichen werden. Es zeigt sich, dass in der ersten Phase der Galaxienentstehung extrem massereiche Sterne mit etwa hundertmal mehr Masse als unsere Sonne vorherrschen. Diese Sterne leben nur kurze Zeit, das heisst wenige Millionen bis hundert Millionen Jahre. Die in ihrem Inneren produzierten chemischen Elemente werden am Ende ihres Lebens in einem Feuerwerk von Supernovaexplosionen in das Gas der jungen Galaxie zurückgeblasen. In den dabei entstehenden Schockzonen bildet sich ein zweite Generation von Sternen, die deutlich geringere Massen haben als die erste Generation. Auch die Entstehung von Planetensystemen ist nun möglich - die erste Generation von Sternen hatte als Baumaterial nur die Gase Wasserstoff und Helium zur Verfügung, mit denen sich schwerlich ein Mirabellgarten realisieren liesse!

In Spiralgalaxien sammelt sich das Gas nach und nach in der Scheibe, in der immer noch Sterne gebildet werden, wenn auch in viel geringerem Mass als zu Beginn des Galaxienentstehungsprozesses. In der Simulation kann man sehr gut erkennen, wie die verschiedenen Sterngenerationen und Sterntypen räumlich verteilt sind und wie unterschiedlich stark mit schweren Elementen angereicherte Gaswolken umverteilt werden. Dabei wirken die Gasschalen der Supernovae, die Spiralarme und die Kernzone der Galaxien wie ein riesiger Mixer, die das Material über grosse Entfernungen umverteilen. Erfreulicherweise passen die berechneten Verteilungen sehr gut mit den beobachteten überein. Weiter ergeben die Modelle die Verteilung des Gases: mit schweren Elementen angereichertes, kühles Gas in der Scheibe und nahe dem Zentrum der Galaxie, heisses und metallarmes Gas in den weit entfernten Aussenbezirken. Sogar die Geschwindigkeiten der Sterne in Abhängigkeit von ihrem Gehalt an schweren Elementen stimmen faszinierend genau mit den Messungen überein.

Mit diesen Basler Computersimulationen und auch denen anderer Astronomen ist ein Meilenstein erreicht worden im Verständnis der Entwicklung unserer kosmischen Nachbarschaft. Aber natürlich ist auch hier das Ende der Geschichte noch lange nicht erreicht. Jede neue astronomische Beobachtung und jede Weiterentwicklung der Rechenleistung erlaubt weitere Einblicke. Beispielsweise können die heutigen Galaktochemodynamik-Programme das Zusammenstossen und Verschmelzen von Galaxien noch nicht modellieren. Die Vorgänge in den riesigen Galaxienhaufen sind uns ebenfalls noch verschlossen. Die Liste kann nach Belieben verlängert werden.

Unter http://www.astro.unibas.ch/~samland/chemodyn/chemodyn.shtml findet sich eine detailliertere Beschreibung auf Englisch.

Andreas Kronawitter


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Otto J. Pilzer, 2006-02-01