- Astronomie im Berchtesgadener Land -
Monatsthema November 2006: "Entstehung des Mondes"
So stellt man sich den Impakt des marsgroßen Planetoiden vor, der ca. 30 Millionen Jahre nach der Bildung der Erde zur Entstehung des Mondes geführt hat. Quelle: NASA
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Die Entstehung unseres Mondes wird seit Jahrhunderten von Astronomen diskutiert, und, um es gleich vorweg zu nehmen, bis jetzt konnte noch keine der Theorien endgültig bewiesen werden. Doch die Forschungsergebnisse, insbesondere auch die Untersuchung des von den Mondlandungen mitgebrachten Materials, weisen ziemlich klar in eine Richtung.
Verglichen mit den anderen Planeten hat die Erde einen massereichen Mond mit etwa einem achtzigstel der Erdmasse. Manche Wissenschaftler sprechen deshalb auch von dem "Doppelplanet Erde-Mond". Mehrere Theorien über die Entstehung des Erdmondes wurden vorgeschlagen, kaum eine von ihnen konnte aber gleichzeitig die dynamischen und chemischen Eigenschaften des Erde-Mond-Systems erklären.
Ein gutes Modell muss nicht nur physikalisch plausibel sein, sondern auch die heute beobachtbaren Eigenschaften des Mondes - beziehungsweise des Erde-Mond-Systems - erklären können:
- Die Dichte des Mondes ist mit 3,3 g/cm^3 deutlich geringer als die der Erde mit 5,5 g/cm^3.
- Der Mond hat im Vergleich zur Erde ein großes Defizit an leicht flüchtigen Elementen sowie an Eisen.
- Die isotopische Zusammensetzung der Gesteine der Erdkruste und der Mondoberfläche ist nahezu identisch, im Gegensatz zum Rest des Sonnensystems.
- Der Drehimpuls des Erde-Mond-Systems ist ungewöhnlich hoch.
- Der Mond dreht sich im gleichen Drehsinn genauso schnell um sich selbst wie um die Erde. Er hat also eine an seine Umlaufbewegung gebundene Rotation und zeigt der Erde immer die gleiche Seite.
- Schließlich ist noch die Rochesche Grenze zu beachten: Nähert sich ein Körper wie der Mond der Erde auf weniger als 18.000 km, so würde er durch die Gezeitenkraft in Stücke zerrissen.
Doch nun zur Übersicht über die wichtigsten Möglichkeiten, die in Betracht gezogen werden:
- Die Abspaltungstheorie wurde von George Darwin, dem Sohn von Charles Darwin, 1878 entwickelt. Demnach rotierte die Erde in ihrer Frühphase so stark, dass sich ein Teil ablöste und den Mond bildete. Nach dem Geologen Osmond Fisher sollte der Pazifische Ozean die heute noch sichtbare Narbe dieser Abspaltung darstellen.
Eine solche Herauslösung aus der Äquatorwulst erklärt die Größe des Mondes recht gut. Auch seine geringere mittlere Dichte ist damit vereinbar, denn sie entspricht der Dichte des Erdmantels. Auch rotierte die Erde früher tatsächlich schneller, das heißt die Tage waren früher kürzer; aber für eine Tageslänge von nur ca. 2,5 h, die für den heutigen Gesamtdrehimpuls des Erde-Mond-Systems nötig gewesen wären, gibt es keine sinnvolle Erklärung. Die Bahnebene des Mondes ist zudem mit über 5° viel zu stark gegen die Äquatorebene der Erde geneigt. Hinsichtlich der Roche-Grenze bleibt offen, wie der Mond den zerstörerischen Gezeitenkräften dieses Nahbereiches entkommen sein soll. Des Weiteren gibt es keine plausible Erklärung für das Defizit bei leicht flüchtigen Elementen.
- Die Einfangtheorie: Sie wurde 1909 von Thomas Jefferson Jackson See vorgeschlagen und besagt, dass sich der Mond als eigenständiges Planetesimal an einem anderen Ort im Sonnensystem gebildet hat und bei einer engen Begegnung mit der Erde eingefangen wurde.
Diese Theorie kann den hohen Drehimpuls des Systems sowie den Unterschied der Dichte von Erde und Mond sehr elegant erklären. Sie erfordert jedoch eine sehr spezielle Einfangbahn, die einen großen Zufall bedeutet. Zudem müsste der Mond einen kurzen Eintritt in die Roche-Grenze überstanden haben, was bislang nicht erklärt werden kann. Auch macht diese Theorie keinerlei Aussage darüber, warum der Mond sowohl bei leichtflüchtigen Elementen als auch bei Eisen ein Defizit gegenüber der Erde hat. Bei der Ähnlichkeit der isotopischen Zusammensetzung scheitert die Theorie völlig.
- Die Schwesterplanet-Theorie: Sie wurde 1944 von Carl Friedrich von Weizsäcker entwickelt, nach einer Idee von Immanuel Kant. In seiner Kosmogonie von 1755, dem ersten naturwissenschaftlichen Erklärungsversuch des Ursprungs der Himmelskörper, entwickelten sich Erde und Mond aus einer gemeinsamen Verdichtung des präsolaren Urnebels direkt zu einem Doppelplaneten. Die Hauptmasse der lokalen Verdichtung ballte sich zur Erde und aus der verbliebenen Staubhülle hat sich demnach der Mond gebildet.
Wenn sich Erde und Mond gemeinsam entwickelten, ist es absolut unverständlich, warum sich die Dichte beziehungsweise der Anteil von leichtflüchtigen Elementen sowie von Eisen bei Erde und Mond so stark unterscheiden. Für den hohen Anteil des Bahndrehimpulses des Mondes im Vergleich zum Drehimpuls der Erde selbst gibt es keine plausible Erklärung. Auch die große Neigung der Mondbahnebene gegen die Bahnebene der Erde wird damit nicht begreiflich.
- Die Viele-Monde-Theorie, demnach wurden mehrere Monde gleichzeitig eingefangen und kollidierten nach einiger Zeit. Aus den Bruchstücken bildete sich der heutige Mond.
Diese Theorie wurde 1962 von Thomas Gold vorgeschlagen und in den darauf folgenden Jahren von Gordon MacDonald begründet. Die Idee ist, dass es für die Erde einfacher ist, mehrere kleine als einen großen Himmelskörper einzufangen. Wenn nun sechs bis zehn kleine Monde von der Erde eingefangen werden und diese umkreisen, so wandern die Bahnen dieser Monde aufgrund der Gezeitenwirkung nach außen. Im Zeitraum von einer Milliarde Jahren stoßen die kleinen Monde dann zusammen, und bilden den Erdmond.
Die Theorie wurde durch die Gesteinsproben der Apollo-Missionen widerlegt. Auch ist nicht einsehbar, warum die Vereinigung vieler Monde zu einem einzigen, ungewöhnlich großen nur bei der Erde abgelaufen sein soll, während etwa Mars weiterhin zwei separate kleinere Monde hat und die inneren Planeten ansonsten überhaupt keine Monde besitzen.
- Die Kollisionstheorie: Sie wurde von William K. Hartmann und Donald R. Davis 1975 entwickelt. Nach dieser Theorie kollidierte in der Frühphase der Planetenentwicklung ein etwa marsgroßer Planetesimal, der nach der Mutter der griechischen Mondgöttin Selene Theia genannt wird, mit der Protoerde, die damals bereits etwa 90% ihrer heutigen Masse hatte. Die Kollision erfolgte nicht zentral, sondern fast streifend, so dass große Materiemengen bestehend aus Teilen des Mantels des Impaktkörpers und des Erdmantels in einen Erdorbit weggeschleudert wurden. Aus diesen Trümmern bildete sich innerhalb von weniger als 100 Jahren der Protomond. In knapp 10.000 Jahren verdichtete er sich zum Mond und umkreiste die Erde in einem Abstand von rund 60.000 km.
1983 veröffentlichten A. C. Thompson und David J. Stevenson eine Untersuchung über die Bildung von kleineren Körpern aus dem Kollisionsmaterial im Orbit, aber es gab nur wenige, die sich ernsthaft mit der Kollisionstheorie auseinandersetzten. Den Durchbruch brachte eine internationale Konferenz 1984 in Kailua-Kona, Hawaii, über die Ursprünge des Mondes. Die Diskussion der ersten Untersuchungen des von den Apollo-Missionen zur Erde zurückgebrachten Mondgesteins führte bei den meisten Wissenschaftlern zu der Überzeugung, dass die Kollisionstheorie die Fakten, insbesondere die isotopische Zusammensetzung der Elemente des Mondgesteins, deutlich besser beschreibt als alle anderen Theorien. Insbesondere zeigte sich, dass die isotopische Zusammensetzung der Elemente des Mondgesteins der von irdischem Gestein im Wesentlichen gleicht. So liegen etwa die Sauerstoff-Isotopenverhältnisse von irdischem Gestein, Apollo-Proben und Mondmeteoriten auf einer gemeinsamen Fraktionierungslinie, was zeigt, dass der Sauerstoff - als häufigstes Element im Erde-Mond-System - aus einem gemeinsamen durchmischten Reservoir kommen muss. Im Gegensatz dazu liegen etwa die Sauerstoffisotopenverhältnisse von sonstigen Meteoriten je nach Ursprung auf anderen Fraktionierungslinien.
In den 1990ern gab es einen Rückschlag für die Theorie, als erste Simulationsrechnungen den Impakt eines Körpers mit der dreifachen Marsmasse erforderten, um genügend Material in den Orbit zu befördern. Dieser Einschlag, zu einem Zeitpunkt, als die Proto-Erde etwa die Hälfte ihrer jetzigen Größe erreicht hatte, hätte jedoch deutlich zuviel Drehimpuls übertragen; es wäre deshalb noch ein weiterer schwerer Impakt gegen Ende der Akkretionsphase der Erde notwendig gewesen.
2001 konnten Robin M. Canup und Erik Asphaug jedoch mit verbesserten Modellen zeigen, dass ein einziger Impakt gegen Ende der Akkretionsphase ausreicht, um sowohl Masse als auch Geochemie des Mondes sowie den Drehimpuls des Erde-Mond-Systems zu erklären. Die besten Ergebnisse erhält man nach diesen Simulationen für einen Impaktkörper, der etwas größer als der Mars ist und mit einer Relativgeschwindigkeit von weniger als 4 km/s (14.400 km/h) in einem Stoßwinkel von ca. 45° kollidiert. Durch den streifenden Einschlag bildete sich auf der Erdoberfläche eine gigantische Stoßwelle, die Material in den Weltraum katapultierte. Die Oberfläche der Erde wurde dabei so stark aufgeheizt, dass das Gestein zu kochen begann und verdampfte. Ein Ring aus Wolken verdampften Gesteins vermischt mit festen Brocken umgab nun die Proto-Erde. Nach und nach kondensierten aus diesen Überresten mehrere größere, glühende Klumpen aus geschmolzenem Material, die sich schließlich zu einem einzigen großen Mond vereinigten. Nach diesem Aufprall hatte sich die Struktur der Proto-Erde grundlegend gewandelt. Etwa 60 bis 70 Prozent der ursprünglichen Erdkruste waren in den Weltraum gesprengt worden, die nun in Form einer großen glühenden Kugel die Erde umkreiste. Auch die glut-flüssige Erde selbst nahm auf Grund der Eigenschwerkraft sehr rasch wieder Kugelgestalt an, so dass alle Spuren der Katastrophe verwischt wurden.
Der Abstand des Mondes betrug anfangs wahrscheinlich nur ein Zehntel der gegenwärtigen Distanz. Die Gezeitenkraft war somit etwa 1.000-mal stärker als heute. Auf der Erde durchliefen riesige Flutwellen von über einem Kilometer Höhe die neugebildeten Ozeane aus kondensiertem Wasserdampf. Die sich wieder verfestigende restliche Erdkruste hob und senkte sich im Gezeitenrhythmus um mehrere zehn Meter. Durch die noch viel stärkere Gezeitenwirkung der Erde auf den Mond wurde dieser regelrecht durchgewalkt und dadurch aufgeheizt.
Die enorme Gezeitenreibung bremste die Eigendrehung vor allem des Mondes, aber auch die der Erde ab. Die Rotationsenergie wurde dabei vor allem in innere Wärme von Mond und Erde umgewandelt. Gleichzeitig vergrößerte sich deren gegenseitiger Abstand und die Gezeitenkraft ließ allmählich nach. Dadurch konnte sich nun die Erdoberfläche langsam stabilisieren, während der Mond abzukühlen begann und eine zunehmend dicker werdende Kruste bildete.
Bis vor etwa 3,9 Milliarden Jahren stürzten weiterhin Meteoriten und Asteroiden auf die Erde und den Mond ein. Auf der Erdoberfläche sind kaum noch Spuren aus dieser Zeit vorhanden, da Plattentektonik und Erosion die Erdkruste fortwährend umwälzen. Auf dem Mond jedoch wurden diese Narben konserviert. Aus dieser Zeit stammen die heute noch sichtbaren großen Einschlagkrater und die meisten der Hochlandkrater.
Beim Aufprall des kleineren Proto-Planeten auf der Erde wurde dessen schwerer Kern verdampft und von der flüssigen Erde verschluckt. Der heutige große Erdkern enthält deshalb auch Anteile vom Kern dieses Kollisionspartners. Ausgangsmaterial für den Mond war das eisenarme Krusten- und Mantelgestein der beiden Proto-Planeten. Dennoch hat der Mond vermutlich einen Eisen/Schwefel-Kern von etwa 350 km Durchmesser. Dieses Material hat der Mond möglicherweise erst durch die späteren Meteoriten- und Asteroideneinschläge aufgesammelt.
Durch Vergleich der Niob-Tantal-Verhältnisse des Mondes und der Erde mit dem Niob-Tantal-Verhältnis des übrigen Sonnensystems konnte inzwischen gezeigt werden, dass der Mond mindestens zur Hälfte aus Erdmaterial besteht. Das Alter des Mondes wurde November 2005 in einer neuen, gesteinsanalytischen Untersuchung von Wissenschaftlern aus Köln, Münster und Oxford über Wolfram-128-Isotope auf 4,527 Milliarden Jahre (+/- 0,01) bestimmt, also 30 bis 50 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems.
Nach Übereinstimmung einer Mehrzahl von Wissenschaftlern stimmt die Kollisionstheorie sehr gut mit den Beobachtungen überein, auch wenn noch sehr viel Detailarbeit notwendig ist. Vor allem in den Simulationsrechnungen wird noch mit sehr starken Vereinfachungen gearbeitet und es gibt noch keine konsistenten mathematischen Modelle für die Bildung und die Struktur der orbitalen Scheibe nach dem Impakt. Trotz der Unsicherheiten über den genauen Verlauf des Impakts und der nach derzeitigem Kenntnisstand geringen Wahrscheinlichkeit eines derartigen Zusammenstoßes mit einem Körper genau der richtigen Größe genau zur richtigen Zeit mit genau den richtigen Stoßparametern gibt es im Gegensatz zu den anderen vorgeschlagenen Hypothesen zumindest keine größeren Widersprüche zu den Beobachtungen.
Gerardo Inhester
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Otto J. Pilzer, 2006-11-01
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