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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Monatsthema Januar 2007: "Mittendrin und Vollgas"

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Das Bild zeigt die Sternbahnen (als farbige Kreise) um das galaktische Zentrum, in dem ein Schwarzes Loch von etwa 3.6 Millionen Sonnenmassen residiert (gelbes Sternsymbol in Bildmitte). In den zehn Jahren Beobachtungszeitraum hat der Stern SO-2 fast einen vollen Umlauf vollzogen - so lange braucht auch Jupiter für einen Umlauf um die Sonne. Die verzerrten farbigen Flecken sind Sterne auf einer Originalaufnahme. (Quelle: University of California in Los Angeles, Galactic Center Group)
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Es soll Leute geben, die glauben, dass 350 km/h eine Supergeschwindigkeit ist. Diese Leute sind mit roten Autos oder - wenn der Geldbeutel schmaler ist - mit sonntäglichen Fernsehritualen zufrieden. Dabei erleben alle Erdbewohner viel höhere Geschwindigkeiten - ständig, und praktisch völlig unauffällig. Die alte Erde bringt es immerhin auf 29 km pro Sekunde, also 107000 km/h, auf ihrem Weg um die Sonne. Ein wenig rassiger wird es, wenn wir die Geschwindigkeit nehmen, mit der sich unser Sonnensystem um das galaktische Zentrum bewegt: es sind 217 Kilometer pro Sekunde oder 780000 km/h.

Wem das zu langsam ist, dem bleibt eine Reise in das Zentrum der Milchstrasse und das "Andocken" an einen der Sterne des zentralen Sternhaufens. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten liegen bei 300 - 400 km pro Sekunde, der Spitzenreiter, E16, bringt es auf 608 km pro Sekunde, also etwa 2,2 Millionen km/h. Bei solchen Werten mag Ihnen zu Recht etwas schwindelig werden.

Dass es im Zentrum unserer Milchstrasse flott abgeht, ist eine Erkenntnis der letzten Jahre. Möglich wurde sie vor allem durch den Einsatz adaptiver Optik, denn die genannten Sterne sind sehr weit entfernt - etwa 24000 Lichtjahre - und daher müssen wir extrem kleine Positionsveränderungen messen können. Dabei spielt uns die Erdatmosphäre mit ihren turbulenten Luftbewegungen einen Streich: Astronomen nennen das "Zittern" der Sterne "Seeing". Das Seeing entsteht einerseits nahe am Boden und wird von den örtlichen Wetterverhältnissen und der Geländeform beeinflusst. Andererseits ist in etwa zehn Kilometern Höhe eine Störzone, gegen die auch beste Ortswahl nichts ausrichten kann. Zudem sind diese Sterne hinter Gas- und Staubwolken verborgen und sehr lichtschwach - sonst könnte man das Hubble Weltraumteleskop verwenden, das keine Beeinflussung durch die Lufthülle kennt.

Es bleiben in unserem Fall jedoch nur die grössten Teleskope mit 8 - 10 Metern Spiegeldurchmessern mit einer Spezialvorrichtung als Beobachtungsinstrumente, die im Infrarot eingesetzt werden können. Die Spezialvorrichtung ist ein Laser, der einen künstlichen Stern an den Himmel projeziert. Das Laserlicht wird in der Atmosphäre reflektiert und kann vom Teleskop aufgefangen werden. Dieses kann die Seeing-Verzerrung des Laserpunktes messen und einen kleinen Umlenkspiegel so verformen, dass die Verzerrung korrigiert wird. Das klingt nicht nur kompliziert, es ist wirklich schwierig! Deswegen hat es lange gedauert, bis die "Galactic Center"-Forschungsgruppen am Münchner Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik, kurz MPE, und an der University of California in Los Angeles, kurz UCLA, diese Technik anwenden konnten. Während die MPE Gruppe das VLT auf dem Berg Paranal in Nordchile benutzt, verwenden die Kalifornier das Keck-Teleskop auf dem Vulkan Mauna Kea in Hawaii.

Das Bild zeigt die Ergebnisse dieser Arbeiten in Form einer Grafik. Auf den Webseiten des MPE und der UCLA (Adressen am Ende des Artikels) sind auch Filme zu finden, die die Dynamik eindrücklich wiedergeben.

Die hohen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen dieser Sterne brauchen eine Erklärung. Offenbar gibt es im Zentrum der Milchstrasse eine grosse, nicht sichtbare Masse: die beste Erklärung liefert ein Schwarzes Loch, das etwa die Masse von drei bis vier Millionen Sonnen hat.

Ein Rätsel gibt das Alter der Sterne auf: die meisten sind nur wenige Millionen Jahre alt. Sie können daher nicht weit weg vom Zentrum entstanden sein, sind aber in der klassischen Theorie nicht erklärbar, denn die starken Gezeitenkräfte des Schwarzen Loches sollte die Konzentration des Gases verhindern. Es gibt zwei Hypothesen für die Entstehung dieser Sterne: entweder stammen sie aus einer Gasscheibe um das Zentrum oder sie sind die Reste eines eingefallenen Sternhaufens. Noch sind wir nicht in der Lage, eine der Hypothesen zu bestätigen.

Anzeichen für ein supermassives Schwarzes Loch findet man auch in der Beobachtung des Gases um das galaktische Zentrum herum. Dafür verwendet man Radioteleskope. Schon der Pionier der Radioastronomie, Karl Jansky, konnte 1931 eine erhöhte Strahlung in Richtung des Sternbilds Schütze nachweisen, in dem sich das Zentrum der Milchstrasse verbirgt. Mit verbesserten Techniken stellte sich die Radioquelle Sagittarius A* als die zentrale Region heraus. Ihre sehr geringe Eigenbewegung deutet auf die extrem hohe Masse hin, die in einem Bereich von nur etwa 200 Millionen Kilometern konzentriert ist - das entspricht gut der Entfernung Erde - Sonne.

Das galaktische Zentrum hat aber noch weitere Spezialitäten zu bieten: im Januar 2005 beobachtete der Chandra-Röntgensatellit mehrere starke Ausbrüche, die offenbar von "kleinen" schwarzen Löchern stammen, die in einem Umkreis von etwa 70 Lichtjahren das zentrale supermassive Schwarze Loch umkreisen. Nach Schätzungen gibt es 10000 bis 20000 solcher Objekte in dieser Zone. Diese Beobachtungen erhärten die 2003 aufgestellte These, dass das Schwarze Loch im Zentrum von kleineren "Artgenossen" gefüttert wird.

Die letzten Jahre waren in der Erforschung des galaktischen Zentrums eine unglaublich fruchtbare Zeit. Mittendrin in unserer Galaxie - unser Wissen darüber wächst so schnell wie die Sterne rasen.

MPE-Webseite: http://www.mpe.mpg.de/ir/GC/index.php
UCLA-Webseite: http://www.astro.ucla.edu/~ghezgroup/gc/index.shtml

Andreas Kronawitter


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Otto J. Pilzer, 2007-01-01