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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Monatsthema November 2012: "Die Supernova von 1054"

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Krebsnebel M 1, aufgenommen 1999 als 3-Farben-Komposit mit dem VLT (Very Large Telescope) der ESO auf dem Paranal in Chile. Grün entspricht dem Emissionslicht von Wasserstoff, Blau der Emission relativistischer Elektronen (Synchrotronstrahlung) und Rot der Emission der Linie S II (Schwefellinie II) bei 673 nm. Nord ist oben, Ost ist links. In der Diagonalen misst M 1 etwa 420 Bogensekunden.
Quelle: ESO

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Als in der Morgendämmerung einer Frühlingsnacht des Jahres 1054 n. Chr. chinesische Astrologen zum Himmel blickten, werden sie nicht schlecht gestaunt haben über das, was sich ihnen bot. Ein neuer Stern tauchte im Sternbild Stier auf und strahlte so hell wie nie zuvor ein Stern gestrahlt hatte. Ob dieser "Gaststern", wie die Chinesen diesen seltsamen Stern bezeichneten, ihnen Angst eingejagt hatte, werden wir wohl nie erfahren. Aber eines wissen wir, dass die Sternkundigen dieses Ereignis ihrem Herrscher so schnell wie möglich erzählt haben werden, denn dieser Bericht wurde schriftlich überliefert und ist in den Annalen der Song Dynastie (960-1279 n. Chr.) niedergeschrieben. Der "Gaststern" wurde schnell heller und war ab Juli des Jahres so hell, dass er 23 Tagen lang mit bloßem Auge am Taghimmel auszumachen war. Er war 653 Tage am Himmel zu sehen.

Wie wir heute wissen, hatten die chinesischen Sternkundigen eine Supernova beobachtet. Ein Vorgängerstern von der Masse eines Vielfachen unserer Sonne war in Bruchteilen von Sekunden explodiert und schleuderte den größten Teil seines Sternenplasmas mit hoher Geschwindigkeit in den umgebenden Raum, wobei seine Helligkeit extrem anstieg. Die ausgestoßene Hülle des Sterns entwickelte sich zu einem nebligen Gebilde, das wir heute als den berühmten und allen Sternfreunden bekannten Krebsnebel im Sternbild Stier bewundern können. Dieser Nebelfleck wurde zum ersten Mal am 28. August 1758 von Charles Messier entdeckt. Er war auf der Suche nach Kometen und um sich die Suche zu erleichtern, vermerkte er alle nebligen Objekte in einem Katalog, der schließlich mehr als 100 Nebel umfasste. Der Krebsnebel, dessen Name erst später vom berühmten englischen Adeligen und Astronomen Lord Rosse geprägt wurde und der diesen Nebel detailliert beobachtet, gezeichnet und beschrieben hat, war das erste Objekt in Messiers Katalog, trug deshalb den Namen Messier 1 oder kurz M 1.

Der Krebsnebel machte auch in jüngerer Zeit von sich reden. Ab 1942 untersuchte der deutschstämmige Astronom Walter Baade mit dem 2,5-m-Spiegelteleskop der Mount Wilson Sternwarte die Struktur von M 1 genauer und fand, dass sich die Nebelelemente im Laufe der Zeit ausdehnten. Er rechnete in der Zeit zurück und kam auf die Entstehung des Nebelflecks im Jahr 1180, also schon ziemlich nahe an die wirkliche Geburt des Krebsnebels. Am Arecibo-Radioteleskop (Durchmesser 300 m) in Puerto Rico entdeckten Radioastronomen 1968 eine zentrale, stark strahlende und pulsierende Radioquelle, die man später mit der Bezeichnung Pulsar PSR B0531+21 versah. Mit immer genaueren Methoden der Radioastronomie (Interferometrie durch Zusammenschluss mehrerer weit entfernter Teleskope) gelang es schließlich, die Position der Quelle so genau zu bestimmen, dass es gelang, das optische Gegenstück zur Radioquelle auf hoch aufgelösten Aufnahmen als ein Stern 16. Größe auszumachen. Heute weiß man, dass der Pulsar im Zentrum von M 1 ein Neutronenstern mit einem Durchmesser von etwa 20 km ist, der sich mit einer wahnwitzig anmutenden Geschwindigkeit 30 Mal in der Sekunde um die eigene Achse dreht und dabei über das ganze elektromagnetische Spektrum Pulse abstrahlt, die von einem sehr heißen Fleck auf seiner Oberfläche (Hotspot) ausgehen. Die Dichte in diesem Neutronenstern ist so hoch (höher als in einem Atom!), dass sich eine Masse größer als die Sonnenmasse auf diese astronomisch gesehen vergleichsweise kleine Kugel verteilt. Der von diesem Pulsar ausgehende Energiestrom ist dabei 100 000 Mal größer als der der Sonne.

Ein Foto des NASA-Satelliten Chandra mag die gewaltigen Energien verdeutlichen, die von einem Pulsar wie dem Überrest der Supernova von 1054 ausgehen.

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Röntgenbild des Zentrums des Krebsnebels M 1, aufgenommen vom Forschungssatelliten Chandra X-ray Observatory der NASA.
Quelle: Wikipedia/NASA/Smithsonian Institution

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Das den Stern umgebende Gas wird vom Drehimpuls, von der Gravitation und dem ultrastarken Magnetfeld mit höchster Geschwindigkeit mitgerissen. Die weiße Lichtquelle im Zentrum markiert den Ort des Pulsars. Von den beiden Polen gehen in der Achse der Rotation zwei stark gebündelte Materiestrahlen aus, die mit fast Lichtgeschwindigkeit ausgestoßen werden. Schockwellen werden durch die hellen Verdichtungen sichtbar gemacht, die ihre Ursache in der extrem hohen Strahlung und dem Partikelstrom des Neutronensterns haben. Ein Kraftwerk unvorstellbar hoher Energien!

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München untersuchten vor wenigen Jahren den Krebsnebel genauer, um die Vorgänge bei der Explosion des Vorgängersterns zu klären. Mit Computersimulationen stellten sie den Ausbruch und die folgenden Abläufe dar und kamen u. a. zu dem Schluss, dass der Vorgängerstern nur etwa 8 bis 10 Sonnenmassen besaß, also kein Riesenstern mit 100 und mehr Sonnenmassen war. Die treibenden Kräfte beim Zusammenbruch und anschließender Explosion in Bruchteilen von Sekunden stellen die in riesiger Zahl auftretenden Neutrinos dar, die das ultraheiße und dichte Innere des entstandenen Neutronensterns nahezu ungehindert verlassen. Nur ein Prozent dieser abgestrahlten Neutrinos reagieren mit anderen Atomen und Molekülen der Gashülle des Sterns, reichen aber aus, um die äußeren Schichten des sterbenden Sterns extrem stark aufzuheizen, was dann schließlich dazu führt, dass dieses Plasma in den Weltraum geschleudert wird. Der große Rest der Neutrinos entweicht ungebremst und trägt einen gewaltigen Teil der Energie fort. Obwohl die Supernova von 1054 sehr hell war und die Strahlung bei der Explosion der Energie entsprach, welche die Sonne in fünf Milliarden Jahren abgegeben hat, ist ihre absolute Helligkeit eher im unteren Feld der Supernovae anzusiedeln. Die Supernova von 1054 ist nur deshalb so überaus auffällig gewesen, weil sie sich in einer astronomisch gesehen kurzen Entfernung von 6300 Lichtjahren von unserem Sonnensystem ereignet hat. Kaum vorstellbar, wie eine typische Supernova mit der zehnfachen Energieabstrahlung und mehr in ähnlich naher Entfernung auf uns wirken würde!

Wer könnte diesen "Neuen Stern" noch gesehen haben? Es gibt eine Quelle aus der arabischen Welt, die in der fraglichen Zeit von einem "neuen" Stern berichtet. Auch europäischen Quellen (wenn auch spärlich und mit unpräzisen Zeitangaben), enthalten Schilderungen über einen neuen Stern, der mit jenem von 1054 identisch sein könnte. Besonders interessant erscheinen Steinzeichnungen der Anazazi-Pueblo-Indianer aus dem Chaco Canyon im US-Staat New Mexico, die so gedeutet werden könnten, dass an einem Morgen des Jahres 1054 ein neuer Stern in der Nähe des Mondes aufgetaucht ist. Wer auch immer den "Gaststern" zu dieser Zeit gesehen haben mag, wird tief beeindruckt von dem Schauspiel gewesen sein, auch wenn er nicht ahnen konnte, was sich in Wahrheit am Himmel abgespielt hat.

Walter Conrad


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Otto J. Pilzer, 2012-11-01