- Astronomie im Berchtesgadener Land - Monatsthema Juni 2010: "Entfernungsmessung im Weltall - Teil I: Die Anfänge im Altertum"Durch dieses Wüstental im Wadi Rum in Jordanien könnten die Weihrauch-Karawanen auf dem Weg vom Königreich Hadramaut in Arabien über Petra nach Damaskus gezogen sein. Aufnahme: Autor [Zum Vergrößern bitte Bild anklicken] Seit Urzeiten war die Bestimmung von Wegstrecken auf der Erde sehr wichtig für die Menschen. Lebensnotwendig war z. B. für Karawanen in der Wüste, welche Strecke sie am Tag zurücklegen können, ohne substantielle körperliche Verluste für Mensch und Tier zu erleiden. Das erforderte eine genaue Wegplanung und damit auch Erfahrung in der Beurteilung von Entfernungen auf der Reiseroute. Wie ermittelten die Reisenden die Entfernung? Uhren im heutigen Sinn gab es zu diesen Zeiten noch nicht. Man konnte also nicht die Anzahl der Schritte beispielsweise pro Stunde zählen und bei bekannter Schrittweite (ein weit verbreitetes Maß war bei vielen Völkern der Fuß) die Entfernung je Stunde messen. Der Schlüssel für das Messen von Entfernungen war also die Zeitmessung. Wie maßen z. B. die wandernden Nomaden die Zeitabschnitte auf ihrem Weg? Da spielte die Erfahrung eine herausragende Rolle. Der Schattenwurf der Sonne nimmt im Laufe des Tages ab und dann wieder zu. Das ließ schon mal die Einteilung des Tages in zwei Hälften zu. Außerdem bewiesen gerade Naturvölker eine erstaunlich präzise Kenntnis der jedem Menschen innewohnenden inneren (heute sagt man: biologischen) Uhr. Das heißt, diese Menschen waren mithilfe der inneren Uhr in der Lage, eine überschaubare Zeit, z. B. eine Tageshälfte, in regelmäßige Abschnitte einzuteilen und damit Entfernungen zu messen. Unterstützend kam hinzu, dass auch die Entfernung über ein Winkelmaß, z. B. durch Ausstrecken des Armes und Messen des vom Daumen oder der ganzen Handbreite überstrichenen Bogens ermittelt werden konnte, wobei die Entfernung zwischen zwei markanten Wegpunkten (Berge, einzelne Felsen, Bäume) im Gelände als bekannt vorausgesetzt (Erfahrung!) wurde. Leser älterer Exemplare des weit verbreiteten astronomischen Jahrbuches, des Himmelsjahres wird diese Methode vertraut sein, war doch auf der Buchrückseite eine Anleitung zur Winkelbestimmung von Sternabständen mithilfe des Handrückens bei ausgestreckter Hand abgebildet!
Die menschliche Neugierde und praktische Erwägungen waren wohl dann der Wegbereiter für das Verlangen der Menschen, neben der Entfernung von Wegmarken, Städten, ja ganzer Regionen und Länder auch die Entfernung zur Sonne und zum Mond, den wichtigsten der im Altertum bekannten Himmelskörpern, einzuschätzen. Einige der griechischen Philosophen, basierend auch auf den astronomischen Kenntnissen der Assyrer und Babylonier, machten sich Gedanken, wie weit wohl Sonne, Mond und auch das nächtliche Sternenzelt von dem Betrachter auf der Erde entfernt sein mögen. Einige wichtige, und jedem heutigen Schüler geläufige mathematische und geometrische Gesetzmäßigkeiten, waren von ihnen ja bereits entdeckt. So versuchte sich Aristarch von Samos (310-230 v. Chr.) an der Entfernungsmessung des Mondes und gab diese mit 9,5 Erddurchmesser an. Auch die Sonne maß er und ermittelte eine Entfernung von 180-mal dem Durchmesser der Erde. Wie kam er zu diesen Ergebnissen? Bei Beobachtung von Sonnen- und Mondfinsternissen wird er bemerkt haben, dass Sonne und Mond in einem annähernd gleichen Durchmesser am Himmel erscheinen. Er nahm zu Recht an, dass der Mond in seiner Phase Halbmond in einem rechten Winkel zu Sonne und Erde stehen muss. Den Winkel Mond-Erde-Sonne in dem rechtwinkligen Dreieck ermittelte er experimentell zu mindestens 87 Grad. Er schloss daraus, dass die Sonne 19-mal so weit entfernt sei wie der Mond.
Dass dieser Wert bei Weitem nicht stimmt, darf einen nicht verwundern bei den experimentellen Möglichkeiten, die Aristarch zur Verfügung standen. Er spricht ja bewusst von mindestens 87 Grad, das schließt die ihm damals zur Verfügung stehende Messgenauigkeit ein. Bei der heute möglichen Winkelbestimmung kommt ein Winkel von 89 Grad und 51 Minuten heraus. Die Sonne ist also 400-mal so weit entfernt wie der Mond. Die Messergebnisse Aristarchs darf man also nicht überbewerten, da man außerdem davon ausgeht kann, dass den griechischen Philosophen dieser Zeit die Methodik des Vorgehens viel wichtiger erschien als die tatsächlich zu erzielenden Ergebnisse. Das abstrakte Umgehen mit den Formeln der Mathematik war das eigentliche Ziel. Außerdem muss man ja nicht unbedingt annehmen, dass die überlieferten Werte des Experimentes den letzten Stand des Wissens Aristarchs darstellen. Vielleicht hat er ja später in seinem langen Leben genauere Ergebnisse erzielt, die nicht überliefert sind. Immerhin sind seine frühen Werke verloren gegangen und die Inhalte durch spätere Philosophen übermittelt worden. Dem Philosophen und Astronomen ist übrigens ein bedeutender Krater auf dem Mond gewidmet. Bei den Messungen Aristarchs kamen Relativwerte heraus: die Sonne ist 19-mal so weit entfernt wie der Mond, der Mond ist 9,5-mal so weit entfernt wie der Durchmesser der Erde. Wie konnte man aber damals den Durchmesser der Erde bestimmen, um daraus die Entfernungen von Sonne und Mond zu ermitteln? Da taucht nun ein Name aus der Blütezeit der hellenistischen Wissenschaften auf, der zu Recht als einer der ersten Universalgelehrten der damaligen Welt bezeichnet werden darf: Eratosthenes von Kyrene (geboren in Kyrene, Geburtsjahr unsicher, vermutlich 275 v. Chr.; gestorben 194 v. Chr. in Alexandria). Er beschäftigte sich im Laufe seines Lebens mit Mathematik, Geographie, Astronomie und Philosophie. Außerdem war er Dichter, Philologe und Historiker. Anfänglich war er von der Erde als Mittelpunkt der Welt, wie die meisten der griechischen Philosophen der Antike, überzeugt. Im Laufe seines Lebens allerdings änderte er aufgrund seiner genauen Beobachtung der Bewegung von Sonne, Mond und Planeten seine Einstellung. Die Sonne betrachtete er von nun an als den Mittelpunkt des Geschehens und bis auf die Sternwelt drehten sich seiner Überzeugung nach alle Himmelskörper um diese Sonne. Diese Erkenntnis hatte allerdings, wie wir wissen, keine nachhaltige Wirkung auf die Wissenschaft des Altertums wie auch des Mittelalters, bis in der anbrechenden Neuzeit revolutionäre Köpfe diese Idee neu belebten. Ein Experiment hat ihm besonderen Ruhm eingetragen, nämlich der Versuch, den Umfang der Erde zu messen. Bereits der Philosoph Aristoteles, das Universalgenie des Hellenismus, dessen Lehren bis ins späte Mittelalter höchst geachtet wurden und als unumstößlich galten, hatte sich mit dieser Frage befasst. Allerdings muss man seine Ergebnisse eher als Schätzungen denn als Berechnungen einstufen. Erathostenes Experiment fand zwischen zwei Städten Ägyptens statt: Alexandria und Syene (heutiges Assuan). Der Gelehrte ging davon aus, dass die Markierungspunkte beider Städte auf demselben Längengrad und genau 5.000 Stadien voneinander entfernt lagen. Zeitpunkt der Messung war der Tag der Sommersonnenwende. An dem Tag stand in Syene die Sonne am Mittag genau senkrecht über dem Beobachter, während die gleichzeitige Messung in Alexandria eine Abweichung der Sonne vom Zenit von "einem fünfzigsten Teil eines Vollkreises", also nach heutiger Gradeinteilung 7 Grad und 12 Minuten ergab. Den Umfang der Erde ermittelte Eratosthenes auf diese Weise zu 250.000 Stadien. Die bei dem Experiment verwendete Maßeinheit "Stadion" ist sehr schwierig zu ermitteln, da es eine ganze Anzahl von verschiedenen "Stadien" gab. Im Altertum existierten mehrere Längenmaßeinheiten "Fuß", welche wiederum einen festen Bezug zum "Stadion" hatten. Vermutlich hatte Eratosthenes als Grieche das "pous italikos" als Maßeinheit benutzt (1 Fuß gleich 26,46 cm: 600 Fuß ergeben ein Stadion), das auch im Kernland von Hellas und im Ägypten der damaligen Zeit in Verwendung stand (auch der "Nubische Königsfuß" besaß denselben Wert). Für das Stadion ergibt das umgerechnet 158,7 m. Später hat Eratosthenes den Wert für den Umfang zu 252.000 Stadien berichtigt, was dem heutigen Wert des Umfangs der Erde recht nahe kommt. Bei all diesen antiken Maßangaben muss man allerdings immer berücksichtigen, dass die Streckenmessung Syene-Alexandria nicht absolut präzise gewesen sein konnte. Außerdem weiß man heute, dass die Stadt Syene nicht, wie angenommen, auf demselben Längengrad wie Alexandria (Abweichung 3 Grad) und außerdem nicht genau auf dem Wendekreis liegt. Das soll allerdings die großartige Pionierleistung des griechischen Philosophen und Gelehrten Eratosthenes in keiner Weise schmälern. Wie die Geschichte weitergeht, erfahren Sie in einer weiteren Folge zum Thema Entfernungsmessung im All. Walter Conrad
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