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- Astronomie im Berchtesgadener Land -

Monatsthema Juli 2010: "Entfernungsmessung im Weltall - Teil II: Kaum Fortschritte bis zur Entdeckung des Fernrohres"

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Geozentrisches Weltbild des Claudius Ptolemäus, mit Tierkreis und der Erde als Zentrum
Quelle: Wikimedia Commons
aus dem Band Harmonia Macrocosmica, 1660/61 von Andreas Cellarius
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In der vergangenen Folge haben wir erfahren, wie die griechischen Gelehrten an den Kleinasiatischen Küsten und auf den Inseln der Ägäis auf dem Gebiet der Mathematik, Algebra, Geometrie und Astronomie zu Ergebnissen gelangten, die aus heutiger Sicht als erstaunlich und geradezu modern anmuten lassen. Grosse Teile des griechischen Wissens (und damit auch das der alten Völker des Nahen Ostens) wurde im 2. Jh. n. Chr. vom berühmten Astronomen Claudius Ptolemäus in Alexandria (100-175 n. Chr.) gesammelt, geordnet und zu Bänden zusammengefasst. Unter dem Namen "Almagest" sind die Werke der Griechen als Abschriften bis in die heutige Zeit bewahrt worden. Der seltsam anmutende Name dieser Sammlung ist gewissermaßen eine Verballhornung der ursprünglichen Bezeichnung "Mathematike Syntaxis" (Mathematische Zusammenstellung), die in Abschriften dieses Werks als "Megiste Sytaxis" (Größte Zusammenstellung) weiter geführt wurden. Später interessierten sich Potentaten islamischer Völker für diese alten Schriften, ließen sie ins Arabische übersetzen und bezeichneten sie in direkter Übersetzung als "Al-Majisti". Als die Kreuzritter des Abendlandes die Mauren auf der Iberischen Halbinsel besiegten, kamen viele der Schriften des Islam in die Hände der abendländischen Gelehrten und wurden ins Lateinische übersetzt. Die Almagest entwickelte sich zur Standard-Sammlung astronomischen Wissens bis ins 17. Jahrhundert (eine Ausgabe wurde z. B. im Jahr 1515 in Venedig verlegt).

Leider muss man sagen, dass die fortschrittlichen astronomischen Thesen mancher griechischen Philosophen wie Aristarch von Samos (310-230 v. Chr.) oder der Pythagoräer Philolaos (470-399 v. Chr.) später nicht weiter verfolgt wurden bzw. in Vergessenheit gerieten. Dazu wesentlich beigetragen hat sicherlich die Bedeutung, die der überragende griechische Philosoph und Astronom Aristoteles im Denken der Menschen vom Altertum bis ins hohe Mittelalter erlangte. Sein astronomisches Weltbild mit der Erde als Mittelpunkt und den kreisförmigen Sphären, auf denen sich die Himmelskörper wie Sonne, Mond und die damals bekannten Planeten bewegten, hat die Wissenschaft beherrscht. Claudius Ptolemäus hat dieses Aristotelische Weltbild weiter ausgebaut und verfeinert. Zur allgemeinen Verbreitung dieses Weltbildes hat die Katholische Kirche wesentlich beigetragen, welche die Stellung der Erde als Mittelpunkt des Weltgeschehens als unabdingbar für die religiöse Vorstellung von der Einzigartigkeit des Menschen vertrat. Lange Zeit wurde jede Regung einer anderen Sichtweise der Welt von den kirchlichen Instanzen als ketzerisch unterdrückt und verfolgt.

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Porträt Tycho Brahes
Quelle: Tycho Brahe Homepage
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Erst die Erfindung des Fernrohres und die damit einhergehende wissenschaftliche Erforschung der optischen Gesetzmäßigkeiten so wie die Verbesserung des mechanischen Aufbaus des Fernrohres und der Messeinrichtungen brachte wieder Bewegung in die Astronomie. Vorher allerdings trug der berühmte dänischer Astronom Tycho Brahe (1546-1601) mit seiner für die damalige Zeit genauesten Vermessung der Himmelskoordinaten von Sternen und Planeten wesentlich dazu bei, dass Johannes Kepler (1571-1630), der zeitweilig als sein Mitarbeiter an den Arbeiten beteiligt war, mithilfe dieser Daten in zeitraubenden Berechnungen die drei Keplerschen Gesetze entwickelte. Ein ungemein wichtiger Meilenstein in der Welt der Astronomie! Die Formeln erlaubten erstmals die genaue relative Vermessung der Planetenbahnen und damit auch die der Entfernungen der Planeten von der Erde. Kepler wies erstmalig am Beispiel des Mars nach, dass sich Planeten auf Ellipsen um die Sonne bewegen.

Hilfreich für die Bestätigung der Keplerschen Gesetze war auch die Korrespondenz mit Galileo Galilei und dessen Berichte vom Umlauf der 4 Monde um den Planeten Jupiter, die anschaulich darstellten, wie sich Himmelskörper um andere Himmelskörper bewegten.

Wir erinnern uns, dass Aristarch von Samos die Entfernung zum Mond bzw. zur Sonne relativ ermittelt hatte (Entfernung der Sonne=20x die des Mondes! - weit daneben). Jetzt war es möglich, die Entfernungen direkt über Formeln zu errechnen. Wie wir wissen, muss dabei die absolute Entfernung der Erde von der Sonne bekannt sein. Johannes Kepler leitete die Entfernung der Sonne aus der sog. Sonnenparallaxe ab. Das ist der Winkel, unter dem der Radius der Erde, vom Sonnenmittelpunkt aus betrachtet, erscheint. Seine Schätzung ergab eine Entfernung von 22 Mill. km, Kepler lag damit aus heutiger Sicht erheblich daneben. Die Sonnenparallaxe zu messen galt jedoch als schwierig, weil man indirekt vorgehen musste. Somit darf das schiefe Ergebnis nicht allzu sehr verwundern.

Eine weit bessere Methode, die mittlere Sonnenentfernung (man sagt heute dazu: eine Astronomische Einheit) zu ermitteln, stellt ein Parallaxenmessung naher Planeten wie Merkur, Venus und Mars dar. Zuerst wurde sie 1672 von französischen Expeditionsmitgliedern während einer Marsopposition, beobachtet in Cayenne (Französisch-Guyana) und gleichzeitig auf der Pariser Sternwarte, durchgeführt. Selbstverständlich müssen an beiden Beobachtungsorten äußerst genau gehende Uhren bei den Messungen zur Verfügung stehen. Die Auswertung der Ergebnisse durch Giovanni Domenico Cassini, dem berühmten Astronomen und Direktor der Pariser Sternwarte, ergab einen Wert für die Sonnenparallaxe zu 9,5 Bogensekunden (rund 140 Mill. km). Nie zuvor kam man dem tatsächlichen Wert von ca. 149 Mill. km so nahe. Ein Aufruf des Physikers und Astronomen Sir Edmond Halley (er entdeckte die periodische Wiederkehr des nach ihm benannten Halleyschen Kometen), den Venustransfer vom 6. Juni 1761 zu einer weltweiten Kampagne zur Messung der Astronomischen Einheit zu nutzen, wurde von vielen Astronomen aufgenommen, allerdings mit mäßigem Ergebnis: die Auswertungen ergaben eine Sonnenparallaxe, welche zwischen 8,5 und 10,5 Bogensekunden schwankte. Beugungserscheinungen des Lichts an den Ein- und Ausstiegspunkten des Planeten vor der Scheibe der Sonne verhinderten eine exakte Zeitnahme und verfälschten so die Ergebnisse. 1769 gab es dann noch einen weiteren Venustransfer. Die Auswertung dieses Venusdurchganges so wie die nochmaligen Berechnungen des vergangenen Transits von 1761 führte Johann Franz Encke (1791-1865), berühmt durch die Entdeckung der nach ihm benannten Teilung des Saturnringes, lange nach den beiden Ereignissen durch. Ergebnis: 153,3 Mill. km, also noch genauer als Cassini 150 Jahre zuvor.

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Sonderbriefmarke der Deutschen Bundespost zum 200. Geburtstag von F. W. Bessel. Auf der Briefmarke sind auch die Besselschen Funktionen 0. und 1. Ordnung abgebildet.
Quelle: Wikipedia
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Der Erste, der sich an eine Parallaxenmessung eines Sterns heranwagte, war Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846). Wie so viele später berühmt gewordene Astronomen hatte Bessel zunächst einen der Astronomie fern stehenden Beruf erlernt, nämlich als Kaufmann in Bremen. Dort machte er Bekanntschaft mit Heinrich Wilhelm Olbers, einen deutschen Arzt und Astronomen, der sich besonders mit der Bahnberechnung von Kleinplaneten und Kometen hervor getan hatte. Zu seinen Freunden zählte auch Johann Hieronymus Schroeter aus Lilienthal bei Bremen, der sich ebenfalls mit Kometen und Kleinplaneten beschäftigte.

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Das Heliometer von Utzschneider&Fraunhofer (im Deutschen Museum) wurde 1874 anlässlich eines Venustransfers in Luxor/Ägypten von dem deutschen Astronomen Arthur Auwers eingesetzt.
Quelle: Deutsches Museum
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Für die erste Parallaxenmessung wandte sich Bessel dem Stern 61 (einem Doppelstern) im Sternbild Schwan zu (die große Eigenbewegung dieses Sterns war ihm bekannt). Er ließ sich von Joseph von Fraunhofer ein Heliometer bauen, da er erkannt hatte, dass mit den damals üblichen Fernrohren (meist ohne Nachführung!) das Messen der Parallaxe äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich war. Das Heliometer war ein raffiniertes Instrument. Das Objektiv war zweigeteilt und man konnte die beiden Objektivhälften so auseinander schieben, dass zwei Abbildungen eines Sterns entstanden. Am Präzisionstrieb der Objektivhalterung konnte man die Messdaten genauestens ablesen. Ziemlich professionell war auch die Vorgehensweise: er nahm die Temperaturschwankung bei den Beobachtungen, die Refraktion der Atmosphäre und die Eigenbewegung des Doppelsterns in seine Berechnungen auf.

Als Ergebnis kam eine Parallaxe von 0,3 Bogensekunden heraus, was einer Entfernung von 11,3 Lichtjahren (LJ) entsprach. Die Royal Astronomical Society in London verlieh ihm darauf hin die Goldmedaille für besondere Verdienste um die Astronomie. Nun war der erste Schritt gewagt. Weitere Sternvermessungen folgten, u. a. von dem Deutschen Struve und dem Engländer Henderson: Wega in der Leier bzw. Alpha Centauri (nur auf der Südhalbkugel der Erde zu beobachten, der damals nächste bekannte Stern mit 4,3 LJ Entfernung).

Nun war er geschafft, der Sprung ins All, von unserem Sonnensystem bis in die Welt der Fixsterne. Mithilfe stark verbesserter Teleskope, genau gehender Uhren, exakter Messokulare und unter Berücksichtigung der atmosphärischen Eigenschaften der Lufthülle um unseren Planeten haben phantasievolle Querdenker und Neuerer das Bild des Weltalls im Lauf der Jahrhunderte neu entstehen lassen. Aber wie weit reicht das Weltall wirklich? Den Astronomen wurde schnell klar, dass mit der Methode der Parallaxenmessung eine Grenze erreicht wurde, die mit den Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts nicht überschritten werden konnte. Andere Verfahrensweisen und technische Geräte mussten her, aber welche? Das erfahren Sie in einer weiteren Folge der Geschichte der Entfernungsmessung im All.

Walter Conrad


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Otto J. Pilzer, 2010-07-01