- Astronomie im Berchtesgadener Land - Monatsthema August 2010: "Entfernungsmessung im Weltall - Teil III: Ausdehnung des Kosmos"Die Lowell-Sternwarte, benannt nach seinem Gründer Percival Lowell, befindet sich bei Flagstaff/Arizona in 2210 m Höhe. Hier arbeiteten zeitweise Vesto Slipher und Edwin Hubble. Quelle: Wikipedia [Zum Vergrößern bitte Bild anklicken] In der letzten Folge haben wir erfahren, dass die Messung der Entfernung von Sternen mit Hilfe der Parallaxe für lange Zeit auf nahe gelegene Sterne beschränkt blieb. Erst eine Entdeckung der amerikanischen Astronomin Henrietta Swan Leavitt (1868-1921) revolutionierte die Entfernungsmessung im All. Sie fand heraus, dass es eine feste mathematische Beziehung zwischen Leuchtkraft und Periode der Helligkeitsschwankung der sog. Cepheiden gab. Cepheiden waren schon länger als eine Gruppe von Veränderlichen Sternen bekannt, deren Namensgeber der Stern Delta-Cephei im Sternbild Cepheus ist. Durch das Messen der Periode kann man die absolute Leuchtkraft errechnen und durch den Vergleich mit der scheinbaren Helligkeit die Entfernung ermitteln. Dies stellte einen gewaltigen Durchbruch dar. Nun war der Weg frei zur Messung von Sternen im ganzen galaktischen Raum unserer Milchstraße und weit darüber hinaus. Es mutet schon seltsam an, dass Henrietta Leavitt für diese herausragende Entdeckung nie geehrt wurde. Auch die Wissenschaft der Astronomie war nicht frei von Benachteiligungen der Frauen, wie sie auch am Beispiel von Nobelpreisträger Otto Hahn - Lise Meitner nachzuweisen sind. Ein herausragendes Ereignis des 20. Jahrhunderts, der Vortrag Albert Einsteins (1879-1955) vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 25. November 1915 in Berlin über seine gerade fertig gestellte Allgemeinen Relativitätstheorie, krempelte die astronomische Welt um und hatte weit reichenden Auswirkungen, gerade in einem Bereich der Astronomie, der Kosmologie. 3 Jahre vorher begann der amerikanische Astronom Vesto Slipher am Lowell Observatorium in Flagstaff/Arizona (dort befand sich 1910 das damals weltweit drittgrößte Spiegelteleskop von 1,1 m Durchmesser) eine Reihe von Galaxien unter die Lupe zu nehmen. Bei der Auswertung der Linien der Spektrogramme fand er, dass sie mehrheitlich nach rot verschoben waren (bei der geringen Fotoempfindlichkeit der damaligen Fotoplatten waren Belichtungen über mehrere Tage keine Seltenheit!). Dabei muss man berücksichtigen, dass die Struktur solcher "Nebel" nicht genau genug bekannt war, man deshalb auch nicht wusste, ob sie aus Sternen oder Gasen bestanden. Rotverschiebung bei Sternen war bereits früher gemessen und auch mithilfe des Doppler-Effekts interpretiert worden. Doch eine durchgehend starke Rotverschiebung bei Nebeln war neu. Hier taucht nun ein berühmter Name aus der Astronomiewelt auf: Edwin Hubble (1889-1953). Er war ein Student von Slipher und brachte von da bereits Erfahrungen mit rot verschobenen Spektren von Nebeln mit. Hubble wechselte von Flagstaff zum Mount-Wilson-Observatorium, wo ihm ein 60- und ein 100-Zoll-Reflektor (Hooker-Reflector) für Beobachtungszwecke zur Verfügung standen. Mit diesen leistungsstarken Instrumenten entdeckte er, dass der "Andromedanebel" aus Milliarden von Einzelsternen bestand, diese Galaxie also wie unsere eigene Milchstraße beschaffen zu sein schien. Außerdem konnte er einige Cepheiden in dieser Nachbargalaxie und bei zwei weiteren Galaxien entdecken und erste genauere Entfernungsbestimmungen vornehmen. Die Andromeda-Galaxie maß er mit 900 000 Lichtjahren (später musste dieser Wert auf mehr als 2 Millionen Lichtjahre korrigiert werden, weil Hubble damals nicht wissen konnte, dass es eine zweite Gruppe von Cepheiden gab, welche eine andere Perioden/Helligkeitsbeziehung haben und er die erste Gruppe für seine Berechnungen zugrunde gelegt hatte). Damit war endlich geklärt, dass die meisten dieser sog. "Nebel" eigenständige Welteninseln weit draußen im All mit Milliarden von Sternen darstellen. In den letzten Jahrzehnten hat sich bei sehr weit entfernten Objekten eine weitere Standardmessmethode durchgesetzt: Die Entfernungsmessung mithilfe von Supernovae des Typs 1a. Bei diesem speziellen Typ verläuft die Helligkeitsentwicklung immer gleich, ihre absolute Helligkeit kann, ähnlich wie bei den Cepheiden, als Standard verwendet werden. Mit dieser Methode erreicht man Objekte bis zu einer Rotverschiebung von z=1,5, also bis mehr als 8 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Was aber ist die Ursache dieser eigenartigen systematischen Rotverschiebung bei weit entfernten Galaxien? Hier kommt wieder Albert Einstein ins Spiel. Die Wirkungen der Allgemeinen Relativitätstheorie wurden weltweit und häufig kontrovers diskutiert. In der Astronomiewelt ging es vorwiegend um die Frage, ob sich der Kosmos ausdehnt oder nicht. Einstein, der fest davon überzeugt war, dass der Kosmos statisch sei, hatte eigens eine Konstante in seine Berechnungen eingebaut, die ein statisches Weltall gewährleisten sollte und die später als Kosmologische Konstante bezeichnete wurde (Einstein nahm diese Konstante später wieder aus seinen Rechnungen heraus und bezeichnete diese "als die größte Eselei seines Lebens". Heute allerdings wird Einsteins Konstante von den Kosmologen als Geniestreich bezeichnet und ist aktueller denn je!).
Eine weitere Person trat in das Geschehen ein, nämlich der belgische katholische Priester, Mathematiker und Physiker Georges Lemaitre (1894-1966). Er war vertraut mit Einsteins Relativitätstheorie, machte diese während seiner Zeit an der Universität in Cambridge in England bekannt, arbeitete dort mit dem berühmten englischen Astronomen Arthur Eddington zusammen. Lemaitre führte die an den Großinstrumenten in Kalifornien gemessene Rotverschiebung von fernen Galaxien als erster auf die allgemeine Ausdehnung des Weltalls zurück (er gilt als Begründer der Urknalltheorie, die sich aus seinen eigenständigen Berechnungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie ergibt, auch unter Einbeziehung einer Konstanten wie bei Einstein, aber mit wesentlich weiter reichenden Wirkungen). Bereits zwei Jahre vor Edwin Hubble führte er seine Arbeit zur Theorie der Expansion des Weltalls zu Ende (Hubble hatte allerdings diese Arbeit von Lemaitre zum Zeitpunkt seiner eigenen Theorie des sich ausdehnenden Kosmos nicht gekannt). Zwei geniale Arbeiten fast zur gleichen Zeit mit ähnlichen Auswirkungen auf die Astronomie! Nun war es möglich, über die enorme Rotverschiebung von Galaxien ihre Entfernung vom Beobachter auf der Erde zu ermitteln. Der Schlüssel war die Proportionalitätskonstante H, welche man später zu Ehren von Edwin Hubble in Hubble-Konstante umbenannte. Die Rotverschiebung wird bei diesen mathematischen Formeln nicht als Dopplereffekt gedeutet, sondern als kosmologische Rotverschiebung infolge der Raumkrümmung des sich ausdehnenden Kosmos gesehen. Der Raum hat sich gewissermaßen zwischen der Aussendung von Licht eines fernen Objektes und der Ankunft beim Beobachter in der Jetztzeit so verändert, dass die Wellenlänge des Lichts stark gedehnt auf den Sensoren der Teleskope eintrifft. So sind wir heute in der Lage, Licht von extrem frühen Objekten, ausgesandt wenige Hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, also vor rund 13 Milliarden Jahren, zu empfangen.
Die Entfernungsmessung per Parallaxe wird derzeit wieder intensiviert. Nachdem der zu Ehren des antiken griechischen Astronomen Hipparchos von Nicäa (er verfasste u. a. einen Katalog von 600 Sternen mit Helligkeitsangaben und trug sie in eine Sternkarte ein) benannte europäische Astronomiesatellit Hipparcos von 1989 bis 1993 phantastisch genaue Daten (1-2 Millibogensekunden genau) von Parallaxen von 120 000 Sternen zur Erde sandte, wurden aus diesen Daten zwei Kataloge gewonnen: der HIPPARCOS Star Catalogue und Tycho-2 (der Nachfolger von Tycho-1), welche der Astronomiewelt einen sprunghaften Fortschritt bescherten. Als Nachfolger von Hipparcos steht der Satellit Gaia bereits "in den Starlöchern". Sein Start soll 2012 erfolgen und, wie soll es anders sein, seine ehrgeizigen Ziele sind, die Ergebnisse von Hipparcos um weitere Dimensionen zu übertreffen (Katalogisierung von einer Milliarde Sternen). Dieser neue ESA-Satellit soll seine Beobachtungen auf einer Bahn um die Sonne 1,5 Millionen km jenseits der Erdbahn im Lagrangepunkt L2 durchführen. Was wenige Philosophen des Griechischen Altertums voraus geahnt haben, wurde jetzt Gewissheit. Die Sterne sind "unendlich weit" draußen im Weltall. Der Kosmos ist 13,7 Milliarden Jahre alt, das wissen wir. Doch ist diese nüchterne Zahl selbst für uns moderne Menschen vorstellbar? Wohl kaum. Walter Conrad
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